Sir Arthur Harris, Kommandant der Royal Air Force, an seinem Schreibtisch. - © Hulton-Deutsch Collection/corbis
Sir Arthur Harris, Kommandant der Royal Air Force, an seinem Schreibtisch. - © Hulton-Deutsch Collection/corbis

Der voluminöse Band des renommierten britischen Historikers Antony Beevor über den Zweiten Weltkrieg, der in einschlägigen internationalen Presseorganen auf großes Interesse und meist auf wohlwollende Zustimmung gestoßen ist, liegt nun auch in deutscher Fassung vor. Beevor ist mit dem unermesslich umfangreichen Thema und dessen heikler Problematik bestens vertraut. Aus seiner Feder stammen so bedeutende historische Publikationen wie "Stalingrad", "D-Day" und "Berlin 1945 - Das Ende".

Nach einer kurzen Einführung in die weltpolitische Konstellation beschreibt der Autor im ersten Abschnitt zunächst eine militärische Konfrontation am Grenzfluss Chalchin Gol im Mai 1939 zwischen der damals von den Japanern besetzten Mongolei und Truppen der Roten Armee unter dem Kommando von Georgi Schukow, der später die militärische Wende bei Stalingrad herbeiführte und zum sowjetischen Marschall avancierte.

Wende im Fernen Osten


Der Niederlage der Japaner am mongolischen Grenzfluss misst Beevor große Bedeutung zu. Sie sei eine geopolitische Wende gewesen, meint er. Die Japaner griffen nach Südosten aus und schlossen 1941 einen Nichtangriffspakt mit der UdSSR, der es Stalin ermöglichte, die im Fernen Osten gebundenen sibirischen Divisionen vor Moskau im Eroberungskrieg einzusetzen, den Hitler am 22. Juni 1941 begann. Eine neue, in der Geschichtsschreibung bislang wenig beachtete Perspektive.

Das letzte Kapitel seines Buches beschließt der Autor mit den beiden folgenschweren Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki, die er als militärische Notwendigkeit zur Niederringung Japans beurteilt. Einige Tage später, am 15. August 1945, war auch in Asien der unheilvolle Krieg mit seinen weltweiten Folgewirkungen zu Ende.

Zwischen diesen beiden Polen beschreibt und analysiert der britische Autor, der ein detailverliebter Chronist und ein begabter Erzähler ist, in insgesamt fünfzig, in sich geschlossenen Abschnitten, das Inferno auf den Schlachtfeldern in Europa, Nordafrika, Asien und im Pazifik. Beevor scheut nicht davor zurück, die monströsen Gräueltaten und Verbrechen, die von der Deutschen Wehrmacht, der Roten Armee und den japanischen Aggressoren an der Zivilbevölkerung begangen wurden, mit Deutlichkeit anzusprechen. Er thematisiert die verbrecherischen medizinischen und biologischen Experimente Josef Mengeles und anderer Ärzte in den Konzentrationslagern und geht auch mit den Verbrechen der japanischen Führung an Menschen anderer Nationen streng ins Gericht.

Dass hunderttausende deutsche Frauen von sowjetischen Soldaten vergewaltigt wurden, bleibt ebenfalls nicht ungesagt. Für die vernichtenden Gegenschläge der Royal Air Force auf deutsche Metropolen, etwa auch die völlige Zerstörung Dresdens im Februar 1945, nach dem "Blitz", dem Bombenkrieg der deutschen Luftwaffe auf britische Städte, macht er als Hauptverantwortlichen den Royal-Air-Force-Chef Sir Arthur Harris aus, dem er einen "obsessiven Drang nach totaler Vernichtung" attestiert. Das ist doch etwas überraschend. Dem Holocaust und dem Rassenwahn der Nazis widmet der Autor jeweils ein eigenes Kapitel.

Die Konferenzen von Teheran und Jalta, auf denen von Stalin, Roosevelt und Churchill die Weichen für die globale Nachkriegsordnung gestellt wurden, schildert Beevor eingehend, für die essenziellen Folgen des Krieges hat er nur wenig Raum übrig. Völlig unerwähnt bleibt unverständlicherweise der deutsche Widerstand gegen das abscheuliche NS-Regime.

Generaliter schenkt der britische Militärhistoriker dem Alltag im Hinterland, dem Kriegseinsatz der Frauen, dem leidvollen Leben der Greise und Kinder geringe Aufmerksamkeit. Dieser Aspekt auf Kosten seiner zuweilen sehr breiten Kriegsberichterstattung hätte sein imposantes Buch gewiss um eine wichtige Dimension erweitert und bereichert.

Sachbuch

Der Zweite Weltkrieg

Antony Beevor

Übersetzt von Helmut Ettinger

C. Bertelsmann Verlag,

976 Seiten, 41,20 Euro