Die argentinische Stadt Cordoba ist seit dem dortigen Sieg gegen Deutschland im Rahmen der WM 1978 jedem österreichischen Fußballfan geläufig. Beinahe ebenso wundersam ist, was sich in dieser Stadt ein Dutzend Jahre später vollzogen hat - der Wandel des von seinem Orden, den Jesuiten, nach einem Europa-Aufenthalt an diesem Ort kaltgestellten Priesters Jorge Mario Bergoglio. Er war ein autoritärer, schroffer Ordensoberer gewesen und reifte nun zu einem sozial aufgeschlossenen Vertreter einer Kirche der Armen.

Cordoba sei für den heutigen Papst Franziskus "ein Ort der Demut und der Demütigung" gewesen, zitiert der britische Journalist Paul Vallely Bergoglios langjährigen Mitarbeiter Guillermo Marcó. Die Übersetzung von Vallelys Franziskus-Biografie mit dem Untertitel "Vom Reaktionär zum Revolutionär" gehört zur neuen Welle von Papst-Büchern, die derzeit den deutschsprachigen Buchmarkt überschwemmt.

"Wenn ihr ihn anrührt, vergreift ihr euch an mir"

Vallelys blendend recherchiertes und geschriebenes Buch lässt keinen Zweifel daran, dass Bergoglio als argentinischer Jesuitenprovinzial in den 1970er Jahren einen konservativen Kurs steuerte, den Einfluss des Zweiten Vatikanischen Konzils in seinem Orden zurückzudrängen versuchte und eine schon vorhandene Spaltung im Orden vertiefte. Noch bis nach seiner Papstwahl wurde sogar der - inzwischen ausgeräumte - Vorwurf erhoben, er trage Schuld daran, dass in der Zeit der Diktatur zwei oppositionelle Jesuiten monatelang gefangen gehalten und gefoltert wurden.

In einem Interview im August 2014, das der deutsche Journalist Daniel Deckers in seinem Franziskus-Buch zitiert, gab der Papst zu, seine "autoritäre und schnelle Art, Entscheidungen zu treffen", habe ihm ernste Probleme und einen ultrakonservativen Ruf eingebracht. Und er habe "haufenweise" Fehler und Sünden begangen: "Es wäre falsch, wenn ich heute sagen würde: Ich bitte um Vergebung für die Sünden und Beleidigungen, die ich möglicherweise begangen habe. Ich bitte heute um Vergebung für die Sünden und Beleidigungen, die ich tatsächlich begangen habe."

1992 wurde ein gereifter Jorge Mario Bergoglio Weihbischof von Buenos Aires. Erzbischof Antonio Quarracino setzt ihn dann, indem er den Widerstand im eigenen Land und im Vatikan austrickst, als seinen Nachfolger durch. Als Kardinal nimmt Bergoglio am Konklave 2005 teil, erringt die zweitmeisten Stimmen, ermöglicht aber durch seinen Rückzug die rasche Wahl von Joseph Ratzinger zu Papst Benedikt XVI. Auf der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz 2007 in Aparecida sorgt Bergoglio dafür, dass der "Kultur der Armen" eine zentrale Rolle eingeräumt wird. 2009 zeugt ein Vorfall von seinem persönlichen Engagement und Mut: Als der Slumpriester Padre Pepe von Drogenhändlern mit Mord bedroht wird, spaziert Kardinal Bergoglio langsam durch das ganze Viertel, unterhält sich mit den Leuten und macht damit, so Vallely, klar: "Wenn ihr ihn anrührt, vergreift ihr euch an mir." Seinen Freund Pepe befördert er zum Vikar für alle Slums.

Die Weltöffentlichkeit kennt den Argentinier erst seit dem Konklave 2013, dessen Hintergründe Deckers und vor allem Vallely gut erhellen. Man nimmt Papst Franziskus als "Enzyklika auf zwei Beinen" wahr, als authentischen Vertreter einer Kirche, die "offen, zerbeult und nahe bei den Menschen" sein will, wie der deutsche Journalist Jürgen Erbacher, in seinem Buch "Ein radikaler Papst" schreibt. Da Erbacher bereits eine Franziskus-Biografie vorgelegt hat, kann er sich in seinem neuen Werk auf die "franziskanische Wende" konzentrieren, auf die mit dem weiteren Verlauf dieses Pontifikats verbundenen Herausforderungen, Absichten und Aussichten.

Ein neuer
Umgang

Alle Autoren sind sich darin einig, dass mit Franziskus eine Reform in der Kirche in Gang kommt. Dabei hat für ihn ein neuer Umgang miteinander - Stichworte: Barmherzigkeit und Kollegialität - Vorrang. An der Lehre will er offenbar wenig bis nichts ändern. Erbacher benennt aber auch sehr deutlich den spürbaren Widerstand gegen diesen Kurs in den höheren, intellektuellen Kirchenkreisen, während das "Volk Gottes" von diesem Papst mehrheitlich fasziniert ist.