Der "politische Aufführungskünstler" Adolf Hitler 1938 in Braunau. - © Wiener Zeitung Bildarchiv/M. Begsteiger
Der "politische Aufführungskünstler" Adolf Hitler 1938 in Braunau. - © Wiener Zeitung Bildarchiv/M. Begsteiger

Ohne den Künstler Hitler, dessen Herz besonders für die Theaterarchitektur im Rahmen von ästhetisch-überhöhter Inszenierung schlug, ohne den passionierten Wagner-Fan und den selbsternannten architektonischen Städte- und Landschaftsplaner für seine Vision eines neuen "Germanien" nach dem vermeintlich siegreichen Ende des von ihm mit aller Gewalt und Brutalität herbeigeführten und entfachten Weltenbrandes, ist der Politiker und Feldherr Hitler nicht zu verstehen.

Der deutsche Historiker Wolfram Pyta liefert hier eine eindrucksvolle Vertiefung der Grundthese des Philosophen Walter Benjamin, wonach der menschenverachtende Nationalsozialismus die "Ästhetisierung der Politik" sei. So ist Ästhetik kein "ornamentales Beiwerk", keine "bunte Show" totalitärer Herrschaft, sondern ein "Strukturprinzip" von Diktaturen, welche die Zustimmung des Volkes mittels ästhetischer Strategien zu gewinnen suchen.

Nach dem Ersten Weltkrieg standen in Deutschland mit Radio und Tonfilm neue Verbreitungsmedien auch des Politischen zur Verfügung. Sie trafen auf eine durch Kriegsfolgenbewältigung aufgerüttelte Gesellschaft, "die politisch hochgradig erregt" war, konstatiert der Autor. Der "massentaugliche Volkstribun" - jenseits des bildungsbürgerlichen Habitus -, der auf Kriegserfahrungen zurückgreifen konnte und mit Leidenschaft und Körpereinsatz auftrat, hatte nun Konjunktur. Der junge Hitler, der in der Habsburger-Monarchie dem verarmten "Künstlerproletariat" zuzurechnen war, der Gefreite des Ersten Weltkriegs, vereinte diese Attribute in sich. Hitler war zu Beginn seines politischen Lebens "kein politisch Suchender, kein rastlos Getriebener". Es war daher kein Zufall, dass dieser ursprünglich "menschenscheue Außenseiter" in einem besonderen "politischen Biotop" zur Politik fand: im durch Kriegsniederlage, Revolution, Räterepublik, Gegenrevolution und Versailler Vertrag aufgewühlten Deutschland.

Abgründiges, Irrationales


Bis 1912 war Hitler kein weltanschaulich gefestigter und politisch ausgeprägter Politiker, doch er lernte rasch, dass politisches Engagement immer ein "fundamentum in arte" besitzen müsse, schreibt der Autor. Dass dem Künstlertum Abgründiges, Irrationales innewohnen kann, das - in die Sphäre der Politik ausgeweitet - zu "schlimmsten Verheerungen" führen kann, hat schon früh Thomas Mann erkannt. Als Hitler um 1900 mit der Kunst in Berührung kam, dominierte schon bei ihm die Auffassung, dass die Moralität aus der Kunst zu verbannen sei. ThomasMann sah in Hitler völlig zu Recht den "politischen Aufführungskünstler", der alles daran setzte, um Alleinherrschaft zu erlangen. Wie der deutsche Reichstag im März 1933 den Reichskanzler Hitler formal legal mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet hatte, so benötigte der Feldherr Hitler später eine legitimationsspendende Ressource. Das sogenannte Ermächtigungsgesetz musste von einem Hitler militärische Omnipotenz verleihenden Ermächtigungskonzept flankiert werden.

Die wiederum "überwältigungsästhetischen" künstlerischen Techniken der Herrschaft beruhen auf einer dynamischen sozialen Beziehung zwischen Hitler und der auf ihn eingeschworenen Gefolgschaft, die es ihm in seiner Eigenschaft als "Führer" ermöglichte, unter Ignorierung der funktionalen Differenzierung eine Allzuständigkeit für sämtliche Gegenstände des Politischen und schließlich auch des Militärischen zu reklamieren. Damit konnte er auch militärische Niederlagen eine Zeit lang ohne Schaden für seinen Führungsanspruch verkraften.

In seiner persönlichen Inszenierung und Identifizierung mit Friedrich dem Großen vereinnahmte Hitler auch die Begriffsdeutung des "Genies" für sich. Der militärische Kartentisch war für den "Feldherrn" Hitler "sein Gehirn", dem er bis zum bitteren Ende seinen künstlerischen Willen aufzuzwingen suchte.