
Der Name Leopold Figl ist im Kollektivgedächtnis der Österreicher fest verankert. Der legendäre Bundeskanzler lebte nur 63 Jahre, aber in seinem verhältnismäßig kurzen Leben spiegeln sich hintereinander das unselige Geschick der Ersten Republik, die außermenschliche Brutalität des NS-Terrorregimes und die schwersten Jahre der Nachkriegszeit. Persönlich war sein Leben gekennzeichnet von Erfolgen, Enttäuschungen und erniedrigenden Demütigungen, charakterisiert durch Unerschrockenheit und Gesinnungstreue und dominiert von einem unerschütterlichen Gottvertrauen und einer bedingungslosen Liebe zu seiner Familie und zur österreichischen Heimat.
Der Bauernsohn aus Rust im Tullnerfeld, der nach der Matura die Hochschule für Bodenkultur absolvierte, betätigte sich schon in jungen Jahren in der Christlichsozialen Partei und unterstützte im Ständestaat als Führer der "Ostmärkischen Sturmscharen" das halbfaschistische Regime im Kampf gegen die Arbeiterbewegung und den heranbrandenden Nationalsozialismus. Am 12. März 1938 wird er verhaftet und ein paar Wochen später mit anderen Nazigegnern in das KZ Dachau verbracht. Dort muss der unbeugsame österreichische Patriot fünf Jahre lang ein qualvolles Martyrium durchmachen, ehe er im Mai 1943 entlassen wird.
Rettung aus der Todeszelle
im Wiener Landesgericht
"Zu Haus ist’s am schönsten", schreibt der Leidgeprüfte beim Wiedersehen mit der Familie in das Gästebuch. Aber Figls Leidensweg ist noch nicht zu Ende. Nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 wird er abermals verhaftet und steht letztendlich in einer Todeszelle im Wiener Landesgericht vor seiner Hinrichtung. Buchstäblich in letzter Minute öffnet sich durch den Siegeszug der Roten Armee bis nach Wien für die Häftlinge das Tor zur Freiheit.
Figl ist gesundheitlich schwer angeschlagen, ausgemergelt, entkräftet. Aber sein Glaube an Österreich ist ungebrochen. Unverzüglich stellt er sich in den Dienst des politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus seines Heimatlandes. Er übernimmt die Führung des Bauernbundes, gründet mit Gesinnungsfreunden die Österreichische Volkspartei und wird nach dem Sieg der ÖVP bei der Nationalratswahl vom 25. November 1945 der erste Bundeskanzler der Zweiten Republik.
Die schwere Nachkriegszeit ist angebrochen. Das Land ist ausgeblutet, das Volk hungert. Leopold ist unermüdlich im Einsatz, gönnt sich keine Ruhe. Der volksnahe Kanzler organisiert Lebensmitteltransporte und ausländische Wirtschaftshilfe, verhandelt tagelang mit dem Alliierten Rat, der die absolute Kontrolle über das Land hat, ringt den Besatzungsmächten Zugeständnis um Zugeständnis ab. Aber seine nimmermüde Arbeit bleibt unbelohnt. Als die ÖVP bei den Wahlen des Jahres 1953 Stimmen und Mandate verliert, wird der verdienstvolle Kanzler von seinen Parteifreunden hinterrücks ausgebootet und durch seinen väterlichen Freund Julius Raab ersetzt. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.
Lesenswertes Buch mit einer Spur zu viel Lob
Leopold Figl ist tief verletzt. Raab setzt jedoch eine versöhnliche Geste und holt ihn als Außenminister in seine Regierung. In dieser Funktion ist es Figl gegönnt, mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 die Ernte seines Kampfes für Österreichs Freiheit einzubringen. Sein Jubelruf "Österreich ist frei" wird zum festen Bestandteil österreichischer Erinnerungskultur, das Foto, das ihn mit dem Vertragswerk auf dem Balkon des Oberen Belvederes zeigt, geht um die Welt.
Leopold Figl beendet seine politische Karriere als Landeshauptmann in seinem geliebten Niederösterreich. Am 26. April 1965 stirbt er an Lungenkrebs. Die Autorin zeichnet den Lebens- und Leidensweg Leopold Figls in 21 Kapiteln mit einfühlsamer Empathie in unprätentiöser Sprache und bereichert ihre Darstellung durch Auszüge aus dem Gästebuch, Gesprächen mit Weggefährten, Briefen und eindrucksvollem Fotomaterial aus dem familiären Privatbesitz. Ihr lesenswertes Buch ist nur um eine Spur zu panegyrisch geraten.
Sachbuch
Leopold Figl - Der Glaube an Österreich
Birgit Mosser-Schuöcker Amalthea, 256 Seiten, 24,95 Euro