Unsere Welt scheint "aus den Fugen" geraten zu sein. Nach dem Ende des Kalten Krieges nahm zwar die Zahl der zwischenstaatlichen Kriege deutlich ab, doch aus den Konflikten um die "Erbfolge" zerfallener Imperien wie etwa des sowjetischen oder Ex-Jugoslawiens entflammten neue blutige Kriege. Die Krisenherde Balkan, Russland-Peripherie sowie der rastlose Nahe und Mittlere Osten stammen aus der Erbmasse der nach dem Ersten Weltkrieg zerschlagenen Vielvölkerstaaten Österreich-Ungarn, Russland und Osmanisches Reich. Der Zerfall dieser Vielvölkerstaaten war ebenso in- und miteinander verflochten wie dessen Folgen nach dem Ersten Weltkrieg. Ähnlich waren Ablauf und Verflechtung der staatlichen Umordnung nach dem "langen Jahr" 1989/91.

Man vertausche die beiden Endziffern der Jahre 1919 und 1991, und schon erkennt man eine Art "Drehbuch der Geschichte", auf die der renommierte deutsche Historiker Michael Wolffsohn in seinem tiefgehenden Buch aufmerksam machen möchte. Afrika wurde durch die Entkolonialisierung nach 1945 ein großflächiger Konfliktherd. Es wäre aber verfehlt, noch heute die einstigen Kolonialmächte für alles und jedes in Afrika verantwortlich zu machen, betont der Autor.

Am Pazifik brennt es "noch nicht"

Mega-Korruption, Diktaturen, Brutalität und politisch schwache Regierungen würden vielmehr auf das Konto der jeweils einheimischen Eliten gehen, konstatiert Wolffsohn. Der konzeptionelle Geburtsfehler sei allerdings "made in Europe". Die einheimischen Machteliten Afrikas waren bislang "weder willens noch fähig", die Konstruktionsfehler ihrer Staaten zu korrigieren, schreibt der Autor.

In der vor allem für die global-vernetzte Weltökonomie immer wichtiger werdenden asiatisch-pazifische Großregion drohen ebenfalls alte, verschüttete oder bewusst niedergehaltene ethno-sozial-religiöse und politische Spannungen in und zwischen diversen Vielvölkerstaaten wieder an die Oberfläche gespült zu werden und erneut aufzubrechen. Es brenne noch nicht zwischen China, Japan und den übrigen Ländern des Pazifikraums - "noch nicht", so Wolffsohn.

Bisherige nationalstaatlich orientierte internationale Konfliktschlichtungsstrategien scheinen an der geopolitisch und -ökonomisch eng verzahnten Gemengelage global wie regional - wo die Welt ein "globales Dorf" geworden ist - zu scheitern. Was ist also zu tun?

Wolffsohn bietet dafür eine Alternative an, um aus der Spirale von ewig wiederkehrenden Kriegen und Gewaltexzessen ausbrechen zu können. Das Schlüsselwort dazu heißt "Föderalisierung". Solch grenzüberschreitende territoriale wie personale föderative Selbstbestimmungsmodelle helfen letztlich auf subsidiäre Weise, auf die wahren Bedürfnisse der jeweiligen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen einzugehen, ohne dabei die Gültigkeit und Achtung des übergeordneten föderativen Bundesstaates außer Acht zu lassen.

Humanitäre Interventionen konnten bisher nur kurzfristig Gewaltexzesse in Krisengebieten unterbrechen. So würden solche internationale humanitäre Interventionen nur die Symptome bekämpfen, nicht aber die Wurzeln solcher Konflikte. Wenn "falsch gedachtes Völkerrecht", das auf der illusionären Vorstellung einer "Dauerhaftigkeit" von Nationalstaaten (entgegen der Erfahrung, die uns den Aufstieg und Fall von Großmächten im Verlauf der Menschheit nur zu gut vor Augen hält) beruht, weiter unser Denken und Handeln bestimmt, dann sind Kriege und Konflikte weiterhin vorprogrammiert.

Langfristig werde sich auch die Binnenform vieler Staaten Europas verändern, konstatiert der Autor. Frankreich wird sich etwa bundesstaatlich neu erfinden müssen, wenn es im internationalen Wettbewerb nicht abgehängt werden soll. Auch Großbritannien hat in Anbetracht etwa von Schottlands Sonderweg nur als Bundesstaat eine Überlebensperspektive. Spanien wird sich bezogen auf das Baskenland, Galicien und Katalonien noch mehr föderalisieren müssen - ebenso wie die gesamte EU.