Ja, der Erste Weltkrieg mit all seiner entfesselten Gewalt war eine "Sintflut", die insbesondere Europa und damit das alte Machtgefüge europäischer Mächte völlig zerstörte. Der britische Historiker Adam Tooze legt hier eine beeindruckende Zusammenschau der sogenannten "Zwischenkriegszeit" dar, wobei er bereits mitten in den Wirren des Krieges 1916 ansetzt und mit dem Zerbröckeln liberal-demokratischer Ordnungsstrukturen in Europa und der Welt endet, ohne auf die Aus- und Nachwirkungen auf den Zweiten Weltkrieg und die entstehende bi-polare Weltordnung nach 1945 hinzuweisen. Die Kräfteverhältnisse von 1919 ähnelten viel stärker dem einseitigen Zustand von 1989 als der geteilten Welt von 1945, meint der Autor.

Seit dem Sommer 1916, als die britische Armee an der alliierten Westfront eine gigantische transatlantische Nachschublinie auf den europäischen Schlachtfeldern einsetze, war es - trotz der Erfolge der Mittelmächte im Osten gegen Russland - nur noch eine Frage der Zeit, bis jede von den Mittelmächten errichtete Überlegenheit vor Ort in ihr Gegenteil umschlug. Als die Großmächte sich in Versailles zu einer Weltkonferenz von noch nie dagewesenen Ausmaßen trafen, waren Deutschland und seine Verbündeten am Ende. Frankreich und seine westlichen Verbündeten in Mittel- und Osteuropa waren nun die "Herren der europäischen Bühne".

Kontrollierte Weltordnung

Im November 1921 kamen in Washington zum ersten Mal die maßgebenden Regierungschefs der Welt zusammen und akzeptierten eine nunmehr auf beispiellose Weise von den USA, der unumschränkten, aber auf fatale Weise zögerlich-isolationistisch agierenden neuen Weltmacht, bestimmte Weltordnung. Die Ökonomie war das dominierende Medium des machtpolitischen Einwirkens auf zunehmend globale Weise - militärische Stärke war damals noch ein Nebenprodukt. (Die USA bauten nicht einmal die volle ihnen zustehende Anzahl an Schlachtschiffen. Es genügte schon, dass alle wussten, dass Amerika dazu imstande war.)

Die Anteile geostrategischer Macht wurden damals im Zuge der Flottenkonferenz in Washington 1921/22 nach folgendem Schlüssel festgelegt: 10:10:6:3:3. An der Spitze standen gleichwertig Großbritannien und die USA, die einzigen Mächte mit Flottenpräsenz auf allen Weltmeeren. Japan, als eine auf den Pazifik, also nur auf einen Ozean beschränkte Macht, folgte auf Platz drei. Frankreichs und Italiens Einflusssphären wurden de facto auf die Atlantikküste und das Mittelmeer begrenzt. Deutschland und Russland wurden nicht einmal als potenzielle Konferenzteilnehmer in Betracht gezogen. Diese Weltordnung nach dem Ersten Weltkrieg wurde machtstrategisch wesentlich strenger kontrolliert als heute die Verbreitung von Nuklearwaffen, hält der Autor fest.

Für den scharfsinnigen sowjetrussischen Revolutionär Leo Trotzki bedeutete das alles eine Wende in den internationalen Beziehungen, die sich wie eine "Kopernikanische Wende im Mittelalter" darstellte. Versailles schrieb die Kriegsschuld fest und "stempelte den deutschen Kaiser zum Verbrecher", schreibt Tooze. Und sowohl das Habsburger- als auch das Osmanische Reich waren in der vom US-Präsidenten Woodrow Wilson vorgezeichneten territorialen Ordnung längst "zum Tode verurteilt worden".

Die spektakuläre Eskalation der Gewalt in den 1930er und 1940er Jahren widerspiegelte letztlich den Widerstand der Verlierer des Krieges gegenüber dem neuen Status quo. Es war ihre Vorstellung, dass sie es mit einer neuartigen, bedrohlichen Kraft zu tun hatten - mit der befürchteten künftigen Dominanz der amerikanisch-kapitalistischen Demokratie. Eben diese war es, die Hitler, Stalin, Mussolini und auch das japanische Kaiserreich zu so radikalen Taten veranlasste. Das insbesondere diplomatische Versagen und der damals nicht vorhandene Wille der USA, Verantwortung für die neue Friedensordnung nach 1918 zu übernehmen, trieb die Welt auf einen neuen Abgrund zu.