Mit dem unbedingten "Willen zur Bewegung" (Alexander Meschnig) startete man am Beginn der Neuzeit neu durch: Francis Bacon setzte mit seinem "Novum Organum" den Wagemut des Menschen frei, über Technik und Wissenschaft den Weg zum Glück im Fortschritt zu finden. Auf der Gegenseite steht Pascal, der in seinen "Pensées" das Regime der Unruhe als systematisches Zerstreuungs- und Ablenkungsmanöver deutet, das im "Getriebe der Welt" den Lebenssinn entstellt.

Von dieser Analyse ist es nur ein Schritt zum Begriff der "Entfremdung" in der "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer/Adorno. Der Genfer Johannes Calvin trieb die Rastlosigkeit des Erwerbslebens einst zurück unter den Himmelsschirm göttlicher Gnade. Den Tüchtigen soll das Paradies im Jenseits locken: eine wahrhaft divinatorische Schubumkehr post mortem zurück nach Eden. Über den Puritanismus funktioniert diese Lehre - so die bekannte Hauptthese Max Webers - "als Einstimmung auf die Anforderungen des modernen Berufslebens" (Konersmann) bis heute. Wie der "Unruhestifter" im Künstlerischen längst als vorbildlich produktiv angesehen und in der Ökonomie als Vorreiter der "Unrast" eines innovativen Unternehmers gepriesen wird, so gerät er auf dem Feld der Politik rasch in den Geruch eines "Aufwieglers", der die Unruhe in der Gesellschaft schürt und nach Umsturz der Ordnung giert.

"Veloziferische" Dynamik


"Der Contrast zwischen dem Mühlradwesen der Europäer und der Gleichmuth des Indianers war mir am auffallendsten", schrieb Alexander von Humboldt im 19. Jahrhundert über seine Erfahrungen in Südamerika. "Er lebt außer Zeit und Raum, und wir Europäer scheinen ihm unerträgliche, unruhige, von Dämonen geplagte Wesen." Goethe hielt die entfesselte Dynamik für nahezu teuflisch: Seine Wortschöpfung "veloziferisch" formte er aus velocitas (Geschwindigkeit) und Luzifer. "Die "absolute Unruhe des Werdens" in der Geschichte "kennt keine Heilsprämien", verhieß Hegel. Damit müssen wir leben. Immerhin: Hegels Studienfreund Hölderlin fand, als tröstliche Wegzehrung, das passende Dichterwort: "So eile denn zufrieden!"

Sachbuch

Die Unruhe der Welt

Ralf Konersmann:

S. Fischer, 461 Seiten, 25,70 Euro