
Man darf sich vom Äußeren nicht abschrecken lassen, wenn man die beiden ersten Bände der "Allotria"-Reihe in die Hände bekommt. Denn was unter dem etwas blassen Kartoncover steckt, ist umso bunter und eindrucksvoller. Hans Veigl schafft es in Band eins, den literarischen Kleinkrieg, den sich Karl Kraus in den 1890er Jahren mit den Exponenten des Wiener Café Griensteidl lieferte – und den er unter dem Titel "Die demolirte Literatur" in eine längere Satireschrift goss –, greifbar zu machen, indem er neben dem Abdruck dieses Textes rund 70 Seiten Anmerkungen hinzufügt, in denen er erklärt, wie es dazu kam, was die Umstände der damaligen Zeit waren, und auch wie die von Kraus derart Angegriffenen darauf reagierten. Besonders interessant sind dabei die zum Teil recht beleidigt klingenden Tagebucheinträge Arthur Schnitzlers, in denen dieser unter anderem auch von Ohrfeigen eines gewissen Felix Salten für "den kleinen Kraus" im Griensteidl berichtet. Besagter Salten kommt übrigens in Band eins ebenso ausführlich zu Wort, nämlich mit "Erinnerungsskizzen", die Hans Veigl ebenfalls ausführlich kommentiert hat.
In sich hat es auch Band zwei der Reihe (dem noch mehrere folgen sollen, aber gut Ding will eben Weile haben, vor allem wenn man sich so intensiv mit diesen Texten befasst). Darin erforscht Hans Veigl nämlich das Leben und Wirken von Uffo Daniel Horn, dem mutmaßlichen Autor des ursprünglich 1838 verfassten "Osterreichischen Parnass", einer 1842 erschienenen 46-seitigen Auflistung von insgesamt 92 bedeutenden Schriftstellern von Heinrich Adami bis Christian Freiherr von Zedlitz, die sich gewaschen hat. Denn im Zentrum stehen (meist unvorteilhafte) Kurzbeschreibungen von deren Physiognomie und sonstigem Auftreten, die zwar wohl nicht klagfähig, aber mitunter nahe dran scheinen. Uffo Daniel Horn – wenn er denn tatsächlich der Verfasser dieser satirischen "Black List" war – hat jedenfalls ordentlich in die Tinte gegriffen. Und Hans Veigl hat lesbare Freude damit, ausführlich zu erklären, welcher Weg dorthin geführt hat, vom eigentümlichen Taufnamen des Autors bis zum Vormärz mit seiner Zensur.
Es sind zwei Erklärstücke, die – wenn man erst einmal den Willen aufgebracht hat, sich mit ihnen hinzusetzen und sich dem etwas anstrengenden Schriftbild zu stellen – einem wahrhaft die Augen öffnen und ein helles Licht in eine Periode österreichischer Satire werfen, die man zwar irgendwie schon gekannt hat, aber eben wahrscheinlich nicht so richtig. Übrigens: "Allotria" sind im Altgriechischen "fremdartige, nicht zur Sache gehörige Dinge" – ein Überbegriff, der in diesem Fall eigentlich ein Understatement ist. Denn bei allen Ausschweifungen, die Hans Veigl unternimmt, gehören diese eben doch dazu, weil sie in ihrer Gesamtheit ein stimmiges Bild erzeugen.