Natürlich trägt ein Herr wie er nicht den Allerweltsnamen Erwin. Er heißt, bitteschön: Erwein. Schon diese Nuance betont seine Besonderheit, auf die er in allen Belangen höchsten Wert legt. Sein Geschmack in Mode- und Kunstfragen ist unfehlbar, er ist ein Meister der gefälligen Konversa-tion und der eleganten Intrige, er versteht sich darauf, seinen Freunden nützlich und seinen Feinden schädlich zu sein - kurz, dieser Erwein von Raidt ist ein Romanheld, von dem seine Erfinderin mit Recht sagen kann, er sei "so völlig umgeben von der Lebensform der österreichischen Monarchie wie der Kern vom Fruchtfleisch".

Wie es sich für diesen Fin-de-Siècle-Typus gehört, ist er ein gewohnheitsmäßiger Verführer. Von jeder Frau, die er "ausgezeichnet gekannt" hat, erbittet er einen linken Schuh, und diese Kollektion wird von Jahr zu Jahr umfangreicher. Gerne nimmt er sich reiferer Damen an - dies aber nur, wenn sie über eine so "präzis geschnittene Schönheit" verfügen wie Josefine, die Witwe des früh verstorbenen Eisenbahndirektors Löwenstein, der protestantisch getauft, aber jüdischer Herkunft gewesen ist. Sie, die Nicht-Jüdin aus kleinen Verhältnissen, die ihrem verstorbenen Mann den gesellschaftlichen Aufstieg verdankt, hasst ihre kluge, empfindsame Tochter aus dieser Ehe - Cecile, die von ihrer Mutter klein gehalten und als "Judenmädl" beschimpft wird.

Es versteht sich, dass Erwein diese liebesbedürftige Tochter ebenso herumkriegt wie die egozentrische Mutter. Durch diesen leichtfertigen Schritt provoziert er jedoch eine Tragödie, die Cecile nicht überlebt.

Mehr sollte ein Rezensent über die Handlung des Buchs "Ein österreichischer Don Juan" eigentlich nicht verraten. Der 1929 erschienene, damals sehr erfolgreiche Roman, der nun von Johann Sonnleitner neu herausgegeben wurde, empfiehlt sich als Lektüre gerade durch seine unvorhersehbaren Komplikationen. Wüssten Leserin und Leser zu viel im Voraus, würden sie um das wichtigste Spannungselement betrogen.

Die Verfasserin dieser gut gebauten und glänzend geschriebenen Prosa, Marta Karlweis, ist so vergessen wie ihre Bücher. Sonnleitner bezeichnet sie im Titel seines sachkundigen Nachworts als "Tochter, Frau und Mutter bedeutender Männer" - und er hätte die "Schwester" noch ergänzen können. Carl Karlweis, der Vater der 1889 geborenen Autorin, war ein hoher Beamter und viel gespielter Dramatiker, ihr Bruder, Oskar Karlweis, ein beliebter Schauspieler (neben Heinz Rühmann und Willy Fritsch gehörte er zu den einstmals berühmten "Drei von der Tankstelle"). In zweiter Ehe war die Autorin mit dem noch heute bekannten Romancier Jakob Wassermann verheiratet. Beider Sohn Charles Wassermann hat sich in Kanada und Österreich als Autor und Journalist einen Namen gemacht.

Aber man würde Marta Karlweis nicht gerecht, wenn man sie nur in ihrem prominenten familiären Umfeld porträtierte. Sonnleitner hat eine intellektuelle Autorin wiederentdeckt, die in jungen Jahren an der Wiener Universität einige Semester Psychologie studiert hatte und in der Zwischenkriegszeit Romane und Erzählungen publizierte. Nach Wassermanns Tod im Jahr 1934 emigrierte Karlweis in die Schweiz und vollendete dort ihre psychologische Ausbildung bei C. G. Jung. 1939 wanderte sie weiter nach Kanada, wo sie bis zu ihrem Tod 1965 als Psychologin arbeitete.

Psychologie ist auch das Hauptinteresse der Romanschriftstellerin Karlweis, die übrigens in "Ein österreichischer Don Juan" unter ihrem wahren Namen als Erzählerin auftritt. So spannend das komplizierte Seelendrama ist, das sie entwirft, so scharfsinnig sind die analytischen Kommentare der Autorin. Wie nebenbei gelingen ihr blitzartige Einsichten in die verborgenen Motive ihrer Figuren: "Erwein mochte Frauen nicht, die nicht er für seine Freunde ausgesucht hatte".

Nicht nur der Don Juan, sondern alle Haupt- und Nebenpersonen werden kritisch durchleuchtet. Dabei kommt Niederträchtiges zu Tage, aber auch Leid und Angst. Und zuweilen regt sich in manchen Personen eine zarte Menschenfreundlichkeit, die man in dieser Welt der desinteressierten Oberflächlichkeit kaum erwartet hätte.