Literatur-Parodie

Um Welten parodistischer fällt hingegen der als Künstlerroman angelegte vierte Teil aus, der 2015 beginnt und 2020 endet. Abgesehen davon, dass er die Handlung ebenso unerbittlich wie logisch vorantreibt, liefert er eine grandiose Abrechnung mit den Eitelkeiten des Literaturbetriebs. Wer will, darf darin u. a. den englischen Autor Martin Amis wiedererkennen.

Im letzten Drittel des Buchs, inzwischen sind wir endgültig in der Zukunft angelangt und schreiben das Jahr 2025, gibt es schließlich den definitiven Showdown zwischen Gut und Böse. Anachoreten und Horologen liefern sich ein letztes Gefecht, das jedem Fantasy-Roman zur Ehre gereichen würde. Da wechseln Geister von einem Körper in einen anderen, es werden Schlachten mit der Kraft der bloßen Imagination geführt und es wimmelt von allerlei Dingen, die in einem anständigen Roman normalerweise nichts verloren haben. Doch am Ende funktioniert auch das - und Mitchell liefert den Beweis: Man kann Trashauch mit Hochliteratur verheiraten.

Teil sechs bringt schließlich den Showdown nach dem Showdownund ist gattungstechnisch geradezu ein Paradebeispiel für dystopische Literatur: Holy ist 74 und die Welt hat ihre Energievorräte weitgehend aufgebraucht. An Medikamente, das Internet, den Überfluss von Gebrauchsgegenständen können sich die Älteren zwar noch erinnern, die Jüngeren kennen sie gar nicht mehr. Nur Island, das seine Erdwärme als Energiequelle nutzen kann, bleibt vom allgemeinen Verfall und dem drohenden Abstieg in die Barbarei verschont.

Verwirrend? Nur vordergründig. Denn Mitchells Stärke besteht gerade darin, dass er Plots von kaum nachzuerzählender Komplexität derart logisch entwickeln kann, dass der Leser am Ende glaubt, eine mathematische Gleichung vor sich zu haben - nur viel spannender. Bisweilen hat ihm diese geniale Konstruktionsgabe allerdings, wie unlängst in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", den Vorwurf eingebracht, er könne zwar großartig erzählen, hätte aber nichts zu sagen.

Apokalypse & Ironie

Dieser Vorwurf zielt gleich aus mehreren Gründen ins Leere. Zunächst: Man muss schon sehr verkopft oder extrem ungeduldig sein, um aus diesem Buch nicht zumindest jenen Ertrag ziehen zu können, der mit ein Urgrund allen Erzählens ist: Spannung. Und auch der Vorwurf, das Buch hätte keine Message, keine tiefere Botschaft, geht ins Leere. Denn wer will, kann die "Knochenuhren" auch als eine Apokalypse lesen, die davon erzählt, was passieren wird, wenn die Menschheit in ihrem Wahn, alle Ressourcen zu vergeuden, nicht bald Halt macht.

Am Ende ist aber auch das nicht wichtig. "Die Knochenuhren" überzeugen, weil sie - bei aller zwischenzeitlichen Phantastik - Figuren konstruieren, die so echt sind, dass man von ihnen als Leser nicht loslassen kann. Zahlreiche dieser Figuren sind überdies auch noch mit viel Wärme und einem gerade erträglichen Maß an Ironie gezeichnet.

Und dann ist da noch etwas: Letztlich kann man die Geschichte der Holly Sykes, die Mitchell erzählt, als ein Plädoyer für das Leben lesen. Und wer will, kann auch die Botschaft hineininterpretieren: dass das Gute zwar nicht immer gewinnt, aber dennoch nicht auf verlorenem Posten steht.