Der Name des französischen Dichters René Char (1907-1988) erscheint seit Jahrzehnten wie ein besonderer Mythos, dessen Inhalte aber nie genauer bekannt oder verbreitet wurden. Womit hat dieses eigenartige Vergessen zu tun? Betrifft es nur die Übersetzungen seiner literarischen Werke im Deutschen? Und wie ist die Wahrnehmung von Werk und Person in Frankreich? Das sind schwierige Fragen, die auch durch die Lektüre seines vor kurzem erschienenen Buchs "Suche nach Grund und Gipfel" nicht gelöst werden. Die Gründe dafür sind vielfältig und verzweigt.

Seit den späten 1950er Jahren sind deutsche Übersetzungen der Werke Chars in unterschiedlichen Editionen erschienen, hervorragende Übersetzer wie Paul Celan, Johannes Hübner oder Lothar Klünner waren tätig. 1984 und 1990 publizierte Peter Handke zwei Bücher mit Gedicht-Zyklen aus dem Spätwerk ("Rückkehr stromauf", "Die Nachbarschaften Van Goghs"). Danach wurde es bis zur jetzigen Ausgabe wieder still um René Char.

Grund und Gipfel

Char begann als junger Dichter im Kreis der Surrealisten um André Breton; im Jahr 1929 entstand ein gemeinsamer Lyrikband von Breton, Char und Paul Éluard ("Ralentir travaux" - "Vorsicht Baustelle"). Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, der Besetzung des größeren Teils Frankreichs durch NS-Deutschland, zog sich Char in seine Heimatregion Vaucluse in der Provence zurück, wurde aktiver Kämpfer der Résistance unter dem Namen Capitaine Alexandre.

Die nun vorliegende Übersetzung des in Köln lebenden Philosophen, Religionswissenschafters und Übersetzers Manfred Bauschulte ist derzeit das einzige Werk Chars, das in einer neuen deutschen Übertragung vorliegt. "Suche nach Grund und Gipfel" ist 1983 in der Pariser Ausgabe der "Œuvres Complètes" unter dem Titel "Recherche de la base et du sommet" in der gültigen Form erschienen. Der Untertitel lautet: "Über den Maquis, Malerei, Dichtung und Philosophie".

Manfred Bauschultes Übertragung enthält eine "editorische Notiz" und ein ausführliches Glossar, das im Umfang von vierzig Seiten in alphabetischer Ordnung viele Namen und Begriffe erläutert: "Glossar von Aroma - Zervos, Namen und Gestalten, Orte und Zeiten im Werk von René Char."

Bei all der Gründlichkeit, in der Bauschulte das Glossar erstellt hat, fehlt dem Buch aber einiges: etwa ein Vorwort, das die Beweggründe für die Übertragung dieses Werks aus Bauschultes persönlicher Sicht genauer erklären würde. Weiters fehlt eine Darstellung der Biografie René Chars. Für die Lektüre des Buchs würde das erhellend wirken, da deutschsprachigen Kennern der französischen Moderne der Name René Char zwar vertraut ist, seine Lebensumstände aber viel weniger.

Das Buch "Suche nach Grund und Gipfel" hat einen disparaten Aufbau. Es enthält eine Sammlung verschiedener Texte und Themen, die Char von 1941 bis 1979 geschrieben hatte. Der Untertitel enthält bereits die wesentlichen Hinweise darauf, wie diese Zusammenstellung begründet ist.

Was bedeutet etwa das Wort "Maquis"? Im lexikalischen Glossar findet sich unter M kein Eintrag dazu. Dieser Begriff hat mehrere Bedeutungen, einer ist botanischer Natur. Er bezeichnet einen grünen Strauchwald oder Gestrüpp. Viel bekannter ist der entsprechende italienische Begriff "Macchia". Es ist eine mediterrane Pflanzenform, die nach der Abholzung früherer Wälder (etwa Eiche) als niedriger Nachwuchs entstanden ist: schwer durchdringlich, zäh, weit wucherndes Unterholz ohne höhere Bäume.

"Maquis" bezeichnet aber auch den bewaffneten Kampf der Partisanen vorwiegend im Süden Frankreichs im Zweiten Weltkrieg. Für die aktiven Kämpfer der französischen Résistance, die "Maquisards", ist Maquis ein Sy-nonym für den Guerilla-Krieg gegen die Besatzungsmacht des Nazi-Reichs. Französische "Brigadisten" verwendeten den Begriff ebenso für ihre Einsätze im Spanischen Bürgerkrieg.

Kampfgeist

In den Kriegsjahren war René Char als Capitaine einer Kompanie seiner Heimatregion Vaucluse in der oberen Provence aktiv. Er war nicht der einzige Künstler, der sich als Kämpfer in die provenzalische Unwegsamkeit zurückzog, aber sicher einer der wenigen Kommandanten. Samuel Beckett (1906-1989) hielt sich bei Roussillon in der Provence versteckt, unterstützte dort die Résistance.

Der Teil des Buchs "Suche nach Grund und Gipfel", der sich der Zeit des Maquis widmet, bräuchte genauere Erläuterungen über den historischen Hintergrund in der Region, wo Char herstammte und lebte. Aber auch sie fehlen. Der Übersetzer Bauschulte hat mit seiner vierzigjährigen Kenntnis von Chars Werk übersehen, dass er keine Leser voraussetzen kann, die mit allen Details und Begriffen vertraut sind.

Ähnlich schwer verständlich ist auch die Beziehung von Char zu Martin Heidegger, mit dem er nach dem Krieg einen längeren Austausch (oder eine Freundschaft?) pflegte. Das zeigt den Einfluss, den das Denken Heideggers auf den französischen Existenzialismus und spätere philosophische Strömungen ausübte.