Rottensteiner im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiter Dobrowolski.
Rottensteiner im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiter Dobrowolski.

"Wiener Zeitung": In den 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts war Science-Fiction fester Bestandteil des literarischen Lebens. Heute drängt das Phantastische zwar zunehmend in alle möglichen Bereiche der Literatur ein, von Joanne K. Rowling über Carlos Ruiz Zafón bis Thomas Glavinic, als Genre scheint Science-Fiction aber out zu sein. Würden Sie diesem Befund zustimmen?

Franz Rottensteiner: Weitgehend schon. Wobei man natürlich sagen muss, dass es das Phantastische in der Literatur immer schon gegeben hat und gerade Autoren, die wegen ihres Realismus bekannt waren, auch ganz tolle phantastische Texte geschrieben haben. Denken Sie etwa an Dickens oder Gogol. Und dann muss man auch noch unterscheiden zwischen Science-Fiction, oder etwas breiter: Phantastik, einer Gattung, wo das Hauptkennzeichen der Einbruch des Übernatürlichen in unsere gewohnte Welt ist, und Fantasy, also Texten, die von Anfang an in einer anderen Welt spielen, die mit unserer Welt nichts zu tun hat. Im Gegensatz zur Phantastik habe ich den Eindruck, dass Fantasy floriert. Jedes Jahr erscheinen dicke Wälzer und haben großen Erfolg. Und das, obwohl die Leute angeblich immer weniger Zeit zum Lesen haben.

Herausgeber vieler phantastischer Buchreihen: Franz Rottensteiner. - © Michael Hetzmannseder
Herausgeber vieler phantastischer Buchreihen: Franz Rottensteiner. - © Michael Hetzmannseder

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Vielleicht diese hier: Die klassische Science-Fiction, das sind sehr oft Kurzgeschichten, Novellen, Anthologien. Da muss sich der Leser alle zehn, zwanzig Seiten auf eine neue Erzählsituation einstellen. Das ist anstrengend. Bei einem Roman verbleibt er hingegen über Hunderte von Seiten in einem vertrauten Raum. Deshalb hat sich von den verschiedenen SF-Genres auch die sogenannte Space Opera - wie etwa "Star Trek" und "Star Wars" - relativ gut halten können. Denn auch hier bleibt die fiktive Rahmen-Welt stets gleich.

Solche Texte eignen sich außerdem gut für Verfilmungen.

Ja, und heute ist sehr oft der Film die treibende Kraft für den Erfolg von SF-Büchern. Fast noch wichtiger sind aber inzwischen Computerspiele. Der neue russische SF-Star Dimitry Glukhovsky hätte nie einen weltweiten Erfolg mit seiner "Metro 2033" erreichen können, wenn es das dazugehörige Computerspiel nicht gegeben hätte. Inzwischen ist ja ein ganzes Universum von Texten entstanden, die in der Welt von Metro 2033 spielen und die längst nicht nur von Glukhovsky, sondern auch von anderen Autoren stammen. Ähnlich war es bei den "Wächter"-Romanen von Sergej Lukianenko. Auch die wären ohne Film und Computerspiel nie so populär geworden.

Die klassische SF-Geschichte, in der wie etwa bei Isaac Asimov oder Stanisław Lem die Helden vor grundlegende philosophisch-moralische Entscheidungen gestellt werden und die SF-Welt dabei gewissermaßen als Katalysator dient, gibt es heute aber kaum noch.

Das würde ich nicht sagen, aber solche Texte werden heute meist nicht als Science-Fiction wahrgenommen und rezipiert. Nehmen Sie zum Beispiel "Alles, was wir geben mussten" von Kazuo Ishiguro, einen Text, der von vielen Kritikern zu den besten Romanen gezählt wird, die seit der Jahrtausendwende geschrieben wurden. Der Roman hat völlig zu Recht einen Riesenerfolg gehabt. Doch nur den wenigsten ist dabei klar gewesen, dass sie es eigentlich mit einem Science-Fiction-Text zu tun hatten. Vielleicht liegt das auch daran, dass SF-Elemente heute in unserem Alltag so allgegenwärtig sind, in Filmen, in der Werbung, in der Elektronik, dass man sie in der Literatur gar nicht mehr bewusst merkt. Wobei es vielleicht auch nicht so wichtig ist, denn die wirklich guten Texte überleben so oder so.

Das Problem ist bloß, dass man sie erst finden muss.

Ja, das stimmt - und das kann sehr mühsam sein, weil es im Science-Fiction-Bereich nur wenige professionelle Kritiker gibt, die den Leser durch die Vielzahl an Neuerscheinungen führen und für ihn eine Vorauswahl treffen.

Als Herausgeber der "Phantastischen Bibliothek" bei Suhrkamp und auch als Betreiber der bis heute erscheinenden Zeitschrift "Quarber Merkur" sind Sie allerdings jemand, der das selbst jahrelang gemacht hat.

Trotzdem ist das, was ich über Science-Fiction geschrieben habe, nur einem kleinen Kreis bekannt. Und ich bin mir auch nicht sicher, wie wichtig dieser Kreis meine Empfehlungen nimmt, ob er ihnen folgt. Ein anderer Punkt, der die Orientierung innerhalb der SF-Literatur schwierig macht, ist die Tatsache, dass es keine wirklich dominierenden Strömungen gibt. In dieser Literatur, die Tausende von Kurzgeschichten, Romanen, Novellen jährlich hervorbringt, scheint nichts überwunden, nichts endgültig erledigt, die unterschiedlichsten Formen kehren immer wieder zurück. Immer wieder gibt es in dieser Literatur aber auch Texte, in denen Probleme aufgeworfen und in einer Tiefe behandelt werden, wie man sie von einer Massenliteratur niemals erwarten würde. Das hat mich schon als ganz junger Mensch fasziniert.

Weil Science-Fiction in ihren besten Ausprägungen eine ausgesprochen philosophische Form von Literatur ist?