
"Wiener Zeitung": Frau Nöstlinger, was macht für Sie ein gutes Kinderbuch aus? Gibt es so etwas wie eine fixe Zutat, die immer drinnen sein muss?
Christine Nöstlinger: Ich denke, es muss irgendwo aus dem Blickwinkel von Kindern erzählt werden. Literatur ist Umsetzung eines Stücks Welt in Sprache, in diesem Fall so, wie sie ein Kind sieht. Nehmen wir das Beispiel Scheidung der Eltern: Da interessiert das Kind weniger, was zwischen den beiden passiert, sondern wie es ihm selber dabei geht.
Wird es schwieriger, je älter man selber wird, für Kinder zu schreiben?
Ich kann heute zwar für kleine Kinder schreiben, weil sie in Maßen doch gleich geblieben sind, aber nicht für Zwölf- oder Dreizehnjährige.

Weil die Kids heute Handys und Tablets haben und anders drauf sind als früher?
Naja, ich habe selber auch ein Handy und ein Tablet. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, was in meinen Enkelkindern vorgeht, wenn sie den ganzen Tag auf ihr Smartphone schauen und irgendwas herumtippen. Das sagt mir nicht viel.
Waren Kinder vor 45 Jahren, als Sie zu schreiben begonnen haben, durchschaubarer als heute?
Für mich schon. Einem heute 35-jährigen Autor sind sie sicher näher.
Inwieweit hat Ihre eigene Kindheit Ihre Bücher geprägt?
Sie hat eine große Rolle gespielt, weil die Kinder in meinen Büchern alle ein bisschen ticken wie ich selbst als Kind.
Welche Rolle haben Ihre beiden Töchter beim Entstehen Ihrer Bücher gespielt?
Gar keine. Die eigenen Kinder als Testleser einzusetzen, ist für mich nicht in Frage gekommen. Sicher haben sie die einen oder anderen meiner Bücher später auch gelesen, aber ich habe sie nie nach ihrer Meinung gefragt.
Was ist für Sie schwieriger zu schreiben: Erwachsenen- oder Kinderliteratur?
Ich habe nie versucht, einen Roman für Erwachsene zu schreiben, das hat mich eigentlich auch gar nicht gereizt.
Mehr als 150 Bücher sind von Ihnen erschienen. Wie viele haben Sie dann doch nicht geschrieben, weil die Grundidee nicht gehalten hat?
Eines. Das war so eine lustige Idee von mir, zu der ich sogar schon den Titel gehabt hätte: "Mutter reglos, Vater ratlos" - eine frustrierte und depressive Ehefrau kann und will einfach nicht mehr und legt sich eines Tages ins Bett.
Und warum ist das Buch nicht erschienen?
Weil ich kein Ende gefunden habe. Ich habe überhaupt keine Idee gehabt, wie ich die Frau wieder aus dem Bett herausbringen könnte.
Eine Situation, die Ihnen Anfang der 1970er auch leicht passieren hätte können, bevor ihre große Karriere gestartet ist?
Naja, ich bin damals sozusagen in die Schwangerenfalle getappt. Ursprünglich wollte ich ja malen, habe dann aber Gebrauchsgrafik studiert, ehe die Kinder gekommen sind. Und dann bin ich daheim gesessen, mein Mann hat ja genügend verdient, sodass ich nicht arbeiten gehen musste. Ich habe dann überlegt, was ich tun könnte, und habe mir gedacht, ich würde gerne einmal ein Kinderbuch illustrieren. Aber ich habe mich nicht getraut, einen Verlag zu kontaktieren und zu sagen, dass ich das machen will. Stattdessen habe ich mir selber einen Text zu den Bildern überlegt. Als es dann fertig war, habe ich es doch an ein paar Verlage geschickt - und höchst erstaunlicherweise hat es tatsächlich einer genommen. Die größte Überraschung war dann aber, dass ich den Friedrich-Bödecker-Preis gewonnen hab, und zwar nicht für meine Bilder, sondern für meinen Text! Dabei hatte mir während der Schulzeit und auch danach nie jemand eine Begabung fürs Schreiben attestiert. Wenn aus diesem Buchprojekt nichts geworden wäre, dann hätte ich mir wohl gesagt: "Siehst Christerl, das kannst du auch nicht." Wer weiß, was dann aus mir geworden wäre . . .
Das war Ihr erstes Buch, "Die feuerrote Friederike". Könnten Sie eigentlich selbst noch alle Bücher aufzählen, die Sie danach geschrieben haben?
Ich habe noch keinen Alzheimer, also könnte ich wohl irgendwie mühselig die ganzen Titel zusammenstoppeln und sagen, worum es in den Büchern grob geht. Aber unlängst hat mich ein Vater gefragt, dessen Bub gerade ein Buch von mir gelesen hat: "Ja, und was steht dann in diesem geheimnisvollen Brief?" - Keine Ahnung. Und außerdem, das klingt nach so viel: 170 oder 180 Bücher. Aber wenn man bedenkt, dass da auch diverse Serien dabei sind, wie die "Geschichten vom Franz" oder "Mini", das sind jeweils 16 Bände mit stark bebilderten 60 Seiten, relativiert sich das auch wieder. Sicher, man muss die Geschichten erfinden, aber ansonsten ist es nicht mit einem ganzen Buch vergleichbar.
Welches Ihrer eigenen Bücher gefällt Ihnen rückblickend am besten?
Da gibt es einige, wobei sich das nicht unbedingt mit den Vorlieben meiner Leser deckt. "Hugo, das Kind in den besten Jahren" wäre so ein Fall. Das Buch hat mir selber wahrscheinlich besser gefallen als vielen Lesern.
Stört Sie eigentlich der Stempel der Kinderbuchautorin, der Ihnen aufgedrückt wurde?
Nein. Ich bin es ja auch gar nicht so sehr. Ich habe ja auch sehr viele Drehbücher geschrieben, für den Hörfunk gearbeitet, zwanzig Jahre für den "Kurier" jeden Tag geschrieben, dann für die Zeitungen von Kurt Falk - auch Schriftsteller müssen ja von etwas leben. Und es hat mir schon großen Spaß gemacht, mich auch in die Politik einzumischen, politische Sachen zu schreiben, aber halt immer nur 45 Zeilen zu 60 Anschlägen. Und es ist sehr angenehm, wenn man weiß, dass am nächsten Tag die Marktfrau den Salat darin einwickelt.