Das frühe Werk hat viele Leser meiner Generation (die in den 1970er Jahren ernsthaft zu lesen begonnen hatten), aber auch Ältere sehr bewegt, da der seit seiner Jugend in Situationen des "Exils" lebende Autor über eine andere Sprache (einen anderen, sehr viel ernsthafteren Ton) verfügte, als die meisten seiner damals in der BRD lebenden schreibenden Zeitgenossen. Auffallend war, dass der deutsche Autor Hans-Christoph Buch heuer in einem Interview sein Interesse am Werk von Weiss im Jahr 1966 erklärte, da beide damals an der Tagung der "Gruppe 47" in Princeton (USA) teilgenommen hatten. Weiss hielt dort einen Vortrag auf Englisch: "I Come out of My Hiding Place".

Dieser Vortrag (1970 im Band "Über Peter Weiss" von Volker Canaris veröffentlicht) beginnt mit einem Rückblick auf die eigene frühe Arbeit: "Bei meinen früheren Versuchen zu schreiben, dachte ich nur an meine eigene Existenz. Das war die Zeit der Emigration und des Krieges. Ich gehörte nirgendwohin und machte aus diesem Nichtgehören eine Tugend. Mein Engagement bestand darin, mich nicht in einer Auseinandersetzung zu engagieren, die meiner Ansicht nach wahnsinnig war. Selbst wenn die ganze Welt sich zu einem Kampf auf Leben und Tod in zwei Lager trennte, würde ich versuchen, mich nicht einzumischen."

Wie kam es, dass sich die Familie Weiss 1938 in Südschweden niederließ, wo der junge Autor sein erstes Buch ("Fran ö till ö / Von Insel zu Insel") 1947 auf Schwedisch veröffentlichte? Weiss wurde 1916 in Nowawes (heute in den Potsdamer Stadtteil Babelsberg integriert) geboren. Sein Vater Eugen (Jenö), ein jüdischer Textilkaufmann und Fabrikant, war ursprünglich ungarischer, später tschechoslowakischer Staatsbürger. Seine Mutter Frieda, eine Schauspielerin, kam aus dem Elsass. Die Familie lebte in Bremen und Berlin, emigrierte 1935 nach Südengland, 1936 in das Sudetenland in Nord-Böhmen. Peter Weiss studierte 1937 Malerei an der Prager Kunstakademie, besuchte damals Hermann Hesse im schweizerischen Tessin.

Der schwedische Weiss

Als NS-Deutschland 1938 das Sudetenland besetzte, emigrierte die Familie schließlich nach Schweden. 1946, mit dreißig Jahren, wurde Peter Weiss schwedischer Staatsbürger. Ab 1952 lebte er mit der Künstlerin Gunilla Palmstierna, die als Bühnenbildnerin viele seiner Stücke ausstattete.

Unlängst erschien ein Band mit Aufsätzen, Essays und Interviews von Peter Weiss, die zwischen 1950 und 1980 in schwedischen Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind, erstmalig in deutscher Übersetzung. Der Herausgeber Gustav Landgren hat das umfangreiche Buch chronologisch aufgebaut, mit zahlreichen Anmerkungen und einem bio-bibliografischen Anhang versehen. In vielen, kürzeren Rezensionen zu Literatur (Henry Miller, Samuel Beckett, Hans Henny Jahnn, Vladimir Nabokov) oder zu verschiedenen Themen des Films (auch zur damaligen Film-Zensur in Schweden), der Peter Weiss vor allem in den 1950er Jahren intensiv beschäftigt hatte, setzt sich der Autor intensiv mit den Themen der internationalen Moderne der Nachkriegszeit auseinander.

1960 beschrieb er in dem längeren Aufsatz "Aus einem Filmtagebuch" eine Reihe damals neuer Filme von Luis Buñuel, Robert Bresson und den französischen Regisseuren der "nouvelle vague" (Claude Chabrol, François Truffaut, Jean-Luc Godard). Mit deutlichen Worten erkennt er Godards "À bout de souffle" ("Außer Atem") als ein besonderes Werk: "Die Hauptfigur des Filmes scheint auszudrücken: Ich bin genau wie die Welt mich geformt hat, hart, rücksichtslos, roh, aggressiv, herzlos, ich denke nur an meinen eigenen Gewinn."

Kämpferisches Pathos

Weiss hatte den Film im Winter in Paris gesehen. Seine Betrachtung schließt mit einer atmosphärischen Beobachtung einer Straßenszene, die mit bitteren Hinweisen auf französische Politik im Jahr 1960 endet: "Und wenn man nach dem Film den Universitätssaal am Place du Panthéon verlässt, treten vereinzelte Menschenknäuel hervor, eine alte Dame mit nackten, blau gefrorenen Beinen - die im Schneewirbel auf dem Bürgersteig liegt und schläft, gleichzeitig diskutiert man die Lage in Algerien, die Folter und die neuen Konzen-trationslager. Dann weiß man, wie recht Godards Film hat, dann spürt man etwas von der eisernen Machtlosigkeit und von dem Bankrott, in den wir nun - 15 Jahre nach Kriegsende - geraten sind."

In seiner Einleitung schreibt Gustav Landgren treffend über das sich verstärkende politische Engagement des Essayisten Weiss in den schwedischen Beiträgen, vor allem ab 1967: "Das spielerische Element, das Weiss’ frühe, surrealistisch beeinflusste Essays zum Teil kennzeichnet, geht unter wachsendem politischen Druck allmählich verloren und weicht einem kritischen, aufklärerischem Pathos."