Im Oktober 1989 war Deutschland ein geteiltes Land. Helmut Kohl und François Mitterrand standen an der Spitze ihrer politisch und wirtschaftlich etwa gleich starken Staaten, vielen Westdeutschen waren Franzosen näher als Ostdeutsche, und Bücher gab es nur auf Papier.

28 Jahre sind vergangen, seit Frankreich zuletzt Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse war. Vom 11. bis 15. Oktober 2017 ist es wieder soweit, wenn es heißt Francfort en français. Mit dem prominenten Auftritt auf dem größten internationalen Ereignis für die Buch- und Medienwelt wird der Literatur und Kultur des Gastlandes und dessen Verlagsbranche viel Aufmerksamkeit zuteil.

Lange Gastland-Pause

Nur, warum hat es so lange gedauert, bis Deutschlands größtes Nachbarland wieder Ehrengast wurde? Zwischendurch waren Brasilien und Flandern/die Niederlande zweimal Gastland. Hatte Frankreichs Verlegerverband sich nicht beworben? Vorrausetzungen sind eine aufstrebende Verlagsbranche, Übersetzungsförderung, ausreichendes Budget und Organisationsstrukturen zur Realisierung des Begleitprogramms. Die Entscheidung fällt die Frankfurter Buchmesse in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

Der Börsenverein hält sich über die Gründe der langen Gastland-Pause Frankreichs bedeckt. Myriam Louviot vom Bureau du livre et de l’édition am Institut français Deutschland gibt an, die französische Literatur sei ohnehin sehr präsent in Deutschland, es bestehe eine sehr lange Tradition des Austauschs: "Der diesjährige Gastlandauftritt zeigt einerseits, was es schon alles gibt, und bietet andererseits die Gelegenheit, den Austausch von Verlegern, Autoren, Übersetzern etc. zu vertiefen und neue Stimmen zu entdecken." Simone Bühler vom Ehrengast-Team der Frankfurter Buchmesse fügt hinzu, generell werde für den deutschsprachigen Buchmarkt mehr übersetzt als in andere Sprachen. Nur bei Sachbüchern greifen Verlage für die einheimische Perspektive lieber zu einem prominenten deutschen Autor als zur Übersetzung - wenn es nicht gerade eine aktuelle Emmanuel-Macron-Biografie ist.

Von 2012 bis 2015 wurden aus dem Französischen jährlich rund 1000 Titel ins Deutsche übertragen, im Jahr 2017 wegen des Gastlandauftritts sind es rund 1400. Damit erscheinen französischsprachige Werke nach englischsprachigen (2015: 6031) am zweithäufigsten auf Deutsch. Comics nehmen darunter die Spitzenposition ein, was der Beliebtheit der francobelgischen Comics (Comics aus Frankreich, Belgien und Luxemburg) allgemein auf internationalen Buchmärkten entspricht. (Siehe dazu auch den Beitrag auf Seite 38.).

Allerdings ist das Angebot von Comics auf dem deutschen Buchmarkt zwar vielfältig und die Szene lebendig, aber die Auflage liegt oft weit unter der französischen; ein deutschsprachiger Comicbestseller weist also viel geringere Verkaufszahlen auf. Eine Ausnahme ist, Louviot zufolge, die erfolgreichste französische Comicserie, Astérix: "Dass Asterix sich auf dem deutschsprachigen Markt immer noch so gut verkauft, ist ein Phänomen. Nirgendwo sonst ist Asterix so erfolgreich wie in Frankreich."

Comics-Verleger

Asterix erscheint nicht im Carlsen Verlag, aber viele andere francobelgische Serien haben in diesem Hamburger Verlagshaus ihr deutsches Zuhause. Carlsens erste Veröffentlichung war vor fünfzig Jahren ein "Tim und Struppi"-Band des Belgiers Hergé.

Die Abenteuergeschichten des jungen belgischen Reporters, der mit seinem Foxterrier um die ganze Welt reist, bilden mit anderen francobelgischen Serien - etwa "Blake & Mortimer", "Valerian & Veronique", "Gaston" und "Spirou & Fantasio" - das "Gerüst des Verlags", erklärt Klaus Schikowski, Programmleiter von Carlsen Comics. "Unseren 50. Geburtstag feiern wir auch mit Sonderausgaben einiger unserer francobelgischen Helden: Es wird zum Beispiel einen Sonderband zu Franquins Serie "Schwarze Gedanken" geben und eine bibliophile Tim- und-Struppi-Gesamtausgabe, alle Alben im Hardcover, normalerweise sind sie es ja Softcoveralben."

Die Zielgruppe für solche aufwändig gestalteten Editionen sind Erwachsene, oft Sammler, die redaktionelle Texte zur Serie oder andere Extras erwarten. "Hergé und Goscinny haben Comics für Leser von sieben bis siebzig Jahren gemacht, die auf verschiedenen Ebenen lesbar sind", sagt Schikowski.

Mittlerweile erscheinen französischsprachige Comics für Kinder und romans graphiques für Erwachsene getrennt. Französische Graphic Novels "mit universellen Aussagen" (Schikowski) kommen auch in Deutschland gut an. Etwa jene von von Catherine Meurisse oder von Riad Sattouf (siehe Seite 38).

Deutsche lesen anders

Bei der Entscheidung für oder gegen die Übersetzung stellt sich immer die Frage, ob sich kulturelle Anspielungen - beim Comic insbesondere der Humor - auch auf Deutsch vermitteln.

Myriam Louviot hat auch Unterschiede bei der Rezeption von Belletristik festgestellt. "Houellebecq, der auf beiden Seiten des Rheins sehr viele Bücher verkauft, wird jeweils anders gelesen. Genauso wie Shumona Sinha, eine indisch-französische Autorin, die - das ist mein persönlicher Eindruck - in Deutschland auf mehr Resonanz stieß als in Frankreich; das kann auch am Erscheinungstermin gelegen haben." Sinhas Roman "Erschlagt die Armen!" (2011) über Migration und Wahnwitz des französischen Asylsystems erschien 2015 auf Deutsch mit dem Beginn der großen Flüchtlingswelle.