(apa) Manchmal kann sich ein kleiner Etikettenschwindel als Glück erweisen: Wer Konrad Paul Liessmanns Buch "Bildung als Provokation" wegen der Ausführungen über das "Dilemma unseres Bildungssystems" erwirbt, wird eventuell enttäuscht sein. Gerade einmal ein Drittel des Umfangs macht dieser Teil aus - das ist aber ziemlich egal: Die restlichen zwei Drittel sind ohnehin lesenswerter.
Liessmann hat mit Büchern wie "Theorie der Unbildung" (2006) oder "Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung" (2014) Verkaufserfolge gefeiert und wurde dadurch medial zum (von ihm selbst ungeliebten) "Bildungsexperten". Insofern ist es nur logisch, dass "Bildung als Provokation" mit Slogans wie "Das Dilemma unseres Bildungssystems - eine Diagnose" beworben wird und im Klappentext möglichst provokante Thesen aufgestellt werden. Die Ausführungen zur Bildung enden aber nach dem ersten Drittel praktisch. Und das ist nicht das Schlechteste, was dem Buch passieren konnte - nicht dass Liessmanns Ausführungen nicht wie versprochen provokant oder manchmal lehrreich wären. Man hat sie nur schon in ähnlicher Form in seinen Vorgängerbüchern zum Thema gelesen.
Gegen das Übergreifen der Kompetenzorientierung
Liessmann wehrt sich nach wie vor gegen das Übergreifen der Kompetenzorientierung an Schulen und stellt ihr etwa die Belesenheit gegenüber. Er warnt vor der Konzentration der neuen Lehrerausbildung auf die "ominöse Praxisnähe" und will stattdessen das jeweilige Fach in den Mittelpunkt stellen: "Wer sein Lehramtsstudium mit schulpraktischen Übungen und fachdidaktischen Kursen beginnt, ohne noch eine Ahnung zu haben, was Fach in einem wissenschaftlich-disziplinären Sinn überhaupt bedeuten kann, wird - auch wenn der Zeitgeist es anders will - nicht gut, sondern denkbar schlecht auf seinen zukünftigen Beruf vorbereitet."
Wirklich lesenswert wird "Bildung als Provokation" aber erst, wenn sich das Buch vom vorgegebenen Thema entfernt und Liessmann etwa über Selfies als "Akt piktoraler Autoerotik" philosophiert, Revolutionstheorien wälzt oder sich den Kopf über das Verhältnis von Staat, Markt, Gesellschaft und Demokratie zerbricht. Amüsant wird es, wenn Liessmann am Schluss die Ambivalenz des Begriffs "Grenze" analysiert und seine eigene Rolle ein wenig auf die Schaufel nimmt. Oder um es in seinen eigenen Worten auszudrücken: "Denken ist mühsam. Und das Geschäft des Intellektuellen ist es auch."