Eine Frau hält ein kleines Mädchen, wahrscheinlich ihre Tochter, an der Hand. Beide stecken in unförmigen Mänteln und stehen vor einem Apparat, auf dem "Dran denken, Jetons kaufen" zu lesen ist. Die Zeichnung auf dem Buchcover könnte nach einem Foto angefertigt sein, denn sie ist von einer altmodisch gezackten Girlande umrahmt. Am Ende des Buches ist die Vorlage zu sehen, tatsächlich ein Foto. "Buy tokens at your leisure" steht da, die Frau lächelt freundlich, das Mädchen hingegen schaut sehr skeptisch ins Bild. Es ist Roz Chast vor vielen Jahren, die Zeichnerin, Autorin und Fotografin des Buches.

"Ein Liebesbrief an New York" ist eine persönliche Hommage an die Stadt aller Städte. Ein Reiseführer ist es auch, aber nicht einer, der uns auf die angeblich heißesten Lokale oder coolsten Boutiquen aufmerksam macht. Die Cartoonistin, bekannt vor allem aus dem "New Yorker", beschreibt vielmehr, wie man mit offenen Augen abseits der spektakulären Sehenswürdigkeiten die Metropole erleben kann. Sie hat sich ihr vielfach genähert, schon damals, als sie, wie auf dem Foto zu sehen, mit ihrer Mama auf die Subway gewartet hat, um in die Stadt zu fahren. "Going Into Town" heißt das Buch im Original, die deutsche Ausgabe erscheint dieser Tage bei Rowohlt.
Kein "ultimativer" Führer sei es, sagt Chast auch gleich am Anfang, und das Cover bestätigt es. Hinter der Fotozeichnung zeigt es aus der Vogelperspektive ganze Straßenzüge voll beliebiger Mietshäuser, wie sie für die Stadt immer noch typisch sind, eng aneinandergedrängt mit altmodischen Wasserfässern obendrauf und Feuerleitern vorne dran, also wies scheint nichts Aufregendes, auf das wir uns da einlassen. Sehen wir weiter, wenn wir näherkommen.
Eines sollten wir vorweg klären: Es heißt "New York" im Titel und manchmal auch im Buch, und Manches, was hier steht, gilt für die ganze City, etwa wie die Subway funktioniert oder was man überall alles essen kann. Aber gemeint ist hauptsächlich die Insel Manhattan, eines der fünf Boroughs, sprich Bezirke der Stadt. Nicht die Bronx oder Queens oder Staten Island - und auch nicht Brooklyn. Roz Chast ist zwar hier aufgewachsen, aber gerade deswegen ist die Insel jenseits des East River für sie so ein heißersehntes Ziel geworden.
Rosalind Chast, 1954 geboren, kannte als Kind nichts anderes als ihre unmittelbare, teils jüdische, teils irische Nachbarschaft in Flatbush im "deep Brooklyn", wie sie es nennt, weit abseits der derzeit gängigen Hipster-Enklaven des Bezirks. Ihre Eltern stammten aus Familien, die es unter abenteuerlichen bis schrecklichen Umständen aus osteuropäischen Schtetln in die Neue Welt geschafft hatten. Wenn man das bedenkt, schrieb Chast in einem Buch über deren Schicksal, dann sei es ein Wunder, "dass sie nicht noch viel verrückter geworden waren".