Als "Politroman" wird Christian Lockers neuestes Buch im Untertitel angekündigt, und was draufsteht, ist auch drinnen: Der Autor unterzieht hier die Entwicklung Österreichs einer radikalen
Kritik. Bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, so meint er, sei Österreich ein kleines, aber intaktes Land gewesen, in dem es sich gut und gerne leben ließ. Die Österreicher sprachen ihre Sprache, der Lockers Roman mit Wörtern wie "verwoadakelt" oder "Spompanadeln" die Treue hält, sie aßen und tranken, was ihnen schmeckte, dabei durfte nach Herzenslust geraucht werden.
Effiziente Abwicklung
Diese glücklichen Zeiten wurden, so erzählt es der Roman, von
einer elitären, globalistisch gesinnten Herrschaftselite abgeschafft: Einerseits durch Gesetze wie das Rauchverbot oder die Pflicht zum "Gendern", andererseits durch
eine gewaltige Propagandaschlacht, die den Menschen - mit tatkräftiger Unterstützung der neuen Medien - jede Erinnerung an ihre Identität auszutreiben versucht. Wer sich dennoch Reste
eines Österreichbewusstseins bewahrt, wird als "Globalisierungsleugner" kriminalisiert.
Der wichtigste politische Akteur im Roman ist ein smarter Bundeskanzler namens Wendelin Semmler, dessen einziges Anliegen darin besteht, Österreich als "unnötigen" Staat abzuwickeln. Sein wichtigster Helfer im Kulturbereich ist ein medientauglicher Großschriftsteller namens Ronald Wasserweber, der die herrschende Ideologie in flott geschriebenen Romanen und Artikeln verbreitet.
Das ist ungefähr der Status quo, den der Roman schildert. Für die nahe Zukunft prophezeit er Schlimmeres. Um das "unnötige Österreich" besonders effizient abzuwickeln, haben die Vertreter des Internationalismus die Grenzen geöffnet. Die Folge: Militante islamistische Gruppen werden sich demnächst gewaltsam an die Macht putschen und den größten Teil Österreichs beherrschen.
Die sympathische, aber naive Staatssekretärin Dr. Müller-
Sobottnigg, die zu den kräftigsten Befürworterinnen der Inte-gration gehörte, wird als allzu selbstständige Frau von den Rebellen gesteinigt, die Ministerin Elisabeth Schubertseder aus dem Amt gejagt.
Christian Lockers Roman "Unnötiges Österreich" ist also eine Dystopie, die das Ende der westlichen Demokratie, das Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" für Frankreich kommen sah, auch für Österreich in Aussicht stellt. Das Buch ist jedoch kein Manifest, sondern ein komplexes Gedankenspiel.
Christian Locker ist als Autor und Maler von der Idee fasziniert, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht linear aufeinanderfolgen, sondern ineinander verschlungen sind. (Das war schon das Bauprinzip seiner früheren Romane, wie etwa "Setzen! Nicht genügend!".)
Zeitschichtungen
Die beiden Hauptfiguren des Romans sind die bereits erwähnte Ministerin Schubertseder und der Schriftsteller Ladislaus Pexl. Als Kinder saßen sie in der Volksschule nebeneinander. Später wird er als opportunistischer Ghostwriter die erwähnten Erfolgsbücher für den prominenten Nichtskönner Wasserweber schreiben, aber zugleich unter eigenem Namen in einem regimekritischen Blog gegen die neue Weltkultur ankämpfen.
Diese Schizophrenie ist nur möglich, weil Pixl nicht wirklich in der Gegenwart lebt, sondern in den frühen 80er Jahren, in denen es noch Schillinge und Schweinsbraten gibt. Was er später tut, wissen die anderen, aber er selber nicht. Frau Dr. Schubertseder hingegen kommt aus der Zukunft in die Gegenwart: Sie hat das bittere Ende des Ganzen schon erlebt, aber das glaubt ihr natürlich keiner.
Der Herr über diese Zeitschichtungen ist allerdings der Autor, und der stellt sein Gedankenspiel selbst ironisch in Frage: Als Erfinder des Katastrophenszenarios entpuppt sich Ladislaus Pixl, der sich im letzten Kapitel eingesteht, dass die Wirklichkeit doch anders sein könnte, als er sie darstellt. Das Urteil, dass es mit dem alten, schönen Österreich in irgendeiner Form zu Ende geht, wird aber nicht relativiert.
Christian Locker, geboren 1963 in Wien, ist unheilbar krank und weiß, dass "Unnötiges Österreich" sein letztes Buch sein wird. Es stellt dem Land keine günstigen Zukunftsprognosen aus, aber er tut dies auf durch und durch österreichische Weise: pessimistisch, ein bisschen bösartig, dann wieder relativierend, zugleich sprachspielerisch und witzig. Also ist Österreich vielleicht doch noch nicht verloren.