
Eine Romanfigur aus Graz pilgert im Jahr 1915 zum greisen Peter Rosegger nach Krieglach: ein Student namens Spittaler, cand. phil., ein Schwarmgeist auf der Suche nach der blauen Blume der Romantik, einer der Protagonisten von Ernst Décseys Grazer Künstlerroman "Die Theaterfritzl". (. . .) Zu dieser Zeit hat Rosegger längst den Nimbus einer sagenhaften Figur, gilt als unbestrittener Nestor der steirischen Dichtergilde, als König in seinem eigenen mythischen Reich, in dem die Kindheit nicht zu Ende geht und das zwanzigste Jahrhundert noch nicht begonnen hat.
Seine Anhänger heben ihn in den Himmel, preisen ihn zugleich als Inbegriff von Erdverbundenheit: "Tief im Boden seiner geliebten Heimat wurzelnd, ist er emporgewachsen, höher und höher, eingedenk der Sendung, die er als Dichter zu erfüllen hat, zutiefst durchdrungen von dem Priestertum des Dichtertums. So ist er einer unserer besten Volkserzieher geworden", bemerkt etwa der Wiener Schriftsteller und Rezitator Richard Plattensteiner, einer der vielen Epigonen der Heimatkunst jener Jahre, in einer kleinen Rosegger-Biografie, die rechtzeitig zum siebzigsten Geburtstag des Dichters in dessen Stammverlag Staackmann erscheint.
Seit ihm die Rosegger-Lektüre in einer Phase schwerer Krankheit und tiefer Verzweiflung neuen Lebensmut gab (. . .), sieht Plattensteiner sich dazu berufen, ja nachgerade dazu verpflichtet, seiner Mitwelt Roseggers Wort zu verkünden, das Evangelium nach Peter Kettenfeier (Pseudonym von Peter Rosegger, Anm.) vom einfachen Leben, von der Heimkehr zur Scholle, vom Frieden des Herzens und vom köstlichen Dasein.

Er tut dies unermüdlich ein halbes Jahrhundert lang, unter allen wechselnden Regimen. Stets im Einklang mit sich und seiner Zeit, würdigt er Roseggers Leben und Lehre in Reden, Vorträgen und Büchern. Während des Ersten Weltkriegs hält Plattensteiner zudem regelmäßig "Rosegger-Nachmittage" in Lazaretten des Hinterlandes. (. . .) In allen seinen Schriften pflegt Plattensteiner die Rosegger-Legende, die schon zu Lebzeiten des Dichters entstand und auf der Weigerung beruhte, zwischen Person und Werk zu unterscheiden (. . .) - einer Weigerung, der allerdings Rosegger selbst nach Kräften Vorschub leistete, indem er seine eigene literarische Produtkion immer wieder fiktiven Autoren zuschrieb, zugleich aber seine Person als Romanfigur inszenierte.
Von der Unsterblichkeit hat Rosegger seinerseits recht akkurate Vorstellungen. "Die Unsterblichkeit, die ich meine und wünsche und habe", bekennt er in seiner Essaysammlung "Das Sünder-glöckel", "ist die persönliche Unsterblichkeit, die U n z e r s t ö r b a r k e i t d e s I c h b e w u ß t s e i n s. Ich habe täglich meine Leiden, und doch ist mein Denken, Ahnen und Beten - ewig zu leben. Andere dürsten nach Ruhm, nach Wissen, nach Schönheit - ich dürste nach Leben. Nach ewigem Leben mit gesunden Sinnen und einem reinen Herzen (. . .)."