Handke und Serbien
Ein gänzlich neues Niveau jedoch erreicht die Analyse der Affäre nun in Lothar Strucks Studie ",Der mit seinem Jugoslawien. Peter Handke im Spannungsfeld zwischen Literatur, Medien und Politik", eine in jeder Hinsicht mustergültige Darstellung, in der alle relevanten Texte bis zu der 2011 erschienenen "Geschichte des Dragoljub Milanović?" behandelt werden. Zur Sprache kommen auch die assoziierten Eklats um die nachträgliche Verweigerung des 2006er Heine- und des 2011er Candide-Preises, samt des Skandals um die improvisierte Rede, die Handke beim Begräbnis von Miloević hielt. Zwar steht Struck parteiisch auf Seiten Handkes, sein Buch aber ist nie einseitig; wo nötig, spart es auch nicht mit Kritik.
Seine ganze Stärke zeigt Strucks Buch, wenn an Fallbeispielen rekonstruiert wird, wie aus Verdrehungen und Erfindungen eine Lüge wird, die dann al-lenthalben als Wahrheit über Handkes Verhalten verbreitet wird. Auch die Manipulationen des Literaturbetriebs arbeitet er hervorragend auf, indem er zeigt, wie Kritiker flugs die Meinung ändern und der eine beim anderen etwas Unzutreffendes abschreibt, das dann beim nächsten zu falschen Behauptungen führt, wie etwa dass Handke - wahlweise - Antisemit, Antimuslim oder Verteidiger des Massakers von Srebrenica sei. Indem Struck die Jugoslawien-Texte im biografischen Hintergrund Handkes verortet und in die sprachkritischen wie gesellschaftstheoretischen Zusammenhänge seines Werkes einordnet, wird vieles erst verständlich. Wer sich ernsthaft für Handke interessiert, kommt an dieser Studie nicht vorbei.
Dichter in Abwesenheit
Die eigentlichen pièces de résistance jedes Jubiläums sind natürlich opulente Bildbände, deren Fotografien ein Gegengewicht zur Buchstabenwelt der Schriftsteller liefern und die (nicht unverständliche) Neugierde der Leserschaft nach Einblicken in die Privatsphäre des Autors befriedigen sollen. Daran aber herrscht heuer Fehlanzeige, sodass man gerne auf den wunderbaren Band "Peter Handke. Porträt des Dichters in seiner Abwesenheit" von Lilian Birnbaum erinnert, der bereits im Vorjahr erschienen ist: In Abwesenheit des Autors durfte Birnbaum im verfallenen Garten und dem wunderbar altmodischen Haus fotografieren.
Was sie uns zeigt, wirkt fast wie eine Illustration der Beschreibungen Federmairs von seinen Besuchen: die im Garten herumliegenden, den Verwitterungseinflüssen ausgesetzten Bücher, die in einer Schublade gesammelten Bleistiftstummel, das zurückgelassene Schuhwerk und die Kleidung Handkes, aufgeschlagene Notizhefte und die überall herumliegenden Belegexemplare der Übersetzungen seiner Texte.
In absentia entsteht so in der Tat ein Portrait, das evokativer wirkt als die gestellten Aufnahmen, von denen man etwa eine zu Anfang des Katalogs findet, den Klaus Kastberger und Katharina Pektor zu der von ihnen kuratierten Ausstellung im Österreichischen Theatermuseum herausgegeben haben. "Die Arbeit des Zuschauers. Peter Handke und das Theater" wird durch ein aufschlussreiches Interview mit Handke eröffnet, worauf ein exzellenter Essay von Kastberger über die wesentlichen Stationen des Theaterautors folgt. Die weiteren Texte leuchten das Thema in alle relevanten Richtungen aus.
Ergänzt durch die Vielzahl an abgebildeten Dokumenten repräsentiert das schön gestaltete Buch nicht weniger als das Standardwerk zum Dramatiker Handke.
Uwe Schütte ist Dozent für Deutsche Literatur an der Aston University, Birmingham. Neben Büchern über Thomas Bernhard und Heiner Müller (jeweils 2010) ist 2011 seine "Einführung in Leben und Werk" von W.G. Sebald erschienen.