Wenn Bücher über menschenrechtliche Missstände nach zehn Jahren nach wie vor aktuell sind, dann wirft das kein gutes Licht auf die Wirklichkeit. Bei dem Buch "Ende einer Rettungsfahrt" aus dem Jahr 2006 ist das der Fall. Darin berichtet Elias Bierdel, der ehemalige Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation "Cap Anamur", über das Schicksal von 37 afrikanischen Schiffbrüchigen sowie über den Umgang von Politik und Behörden mit ihnen und ihren Rettern.
Die Rettungsaktion sorgte 2004 weltweit für Schlagzeilen, nachdem die Besatzung des deutschen Rettungsschiffes im Mittelmeer 37 Afrikaner aus einem Schlauchboot gerettet hatte. Diese waren zuvor von ihren Schleppern in dem Boot ausgesetzt worden und hatten für die Reise anstatt einer Seekarte lediglich einen Zettel mit einem Gebet mitbekommen. Als ihr Boot unterzugehen drohte, wurden die 37 glücklicherweise von der Besatzung der "Cap Anamur" gesichtet.
Das Glück währte aber nicht lang, denn Italien verwehrte dem Schiff drei Wochen lang die Einfahrt in einen sizilianischen Hafen - mit der Begründung, die Flüchtlinge wären nach Malta zu bringen, da sie nach maltesischen Gewässern aufgegriffen worden wären. Schließlich durften sie doch noch an Land gehen: Allerdings wurden Bierdel, der Kapitän des Schiffes sowie sein erster Offizier verhaftet, in Untersuchungshaft gesteckt und wegen Schlepperei angeklagt. Von den 37 geretteten Afrikanern wiederum wurde nur einem Asyl gewährt.
Erst fünf Jahre später endete der Prozess gegen die drei Angeklagten der "Cap Anamur" mit drei Freisprüchen, der Staatsanwalt musste in seinem Plädoyer anerkennen, dass die 37 Menschen ohne das schnelle und beherzte Eingreifen der "Cap Anamur"-Crew ertrunken wären.
Bereits drei Jahre vor dem rechtskräftigen Urteil erschien das von Elias Bierdel verfasste Buch über die Vorkommnisse rund um diese Rettungsaktion und Schikanen der italienischen Behörden.
Dabei schildert er in Form von chronologischen Logbucheinträgen, wie nach dem Auslaufen des umgebauten Frachtschiffes "Cap Anamur" auf anfänglichen Enthusiasmus bald Ernüchterung folgte. Vor allem die Erfahrung, dass die Rettung von Menschenleben nicht nur juristisch geahndet sondern auch verhindert werden können, wenn man bedenkt, dass die "Cap Anamur" weiter Menschen hätte retten können, war eine sehr bittere Erfahrung. Die Vorkommnisse beschreibt er allerdings angenehm nüchtern und ohne auf die Tränendrüsen zu drücken, auch spart er nicht mit Kritik an Politik und an der Schiffscrew selbst: man sei für die Rettungseinsätze auf hoher See zwar technisch gut vorbereitet gewesen, habe aber zu viel Zeit gebraucht, um einen geeigneten Hafen zum Einlaufen zu finden.
Viele Fragen weiterhin offen
Ergänzt werden seine Erzählungen von zwei großen Landkarten mit den Routen der "Cap Anamur", von einer Zeittafel mit den Ereignissen in chronologischer Reihenfolge und vielen Abbildungen über die vor allem in Deutschland kritische Berichterstattung. Die vielen Fotos wiederum lockern - wenngleich manchmal mit sehr schockierenden BIldern - die Dokumentation auf; sie zeigen den Ausnahmezustand des Alltags an Bord oder porträtieren die 37 geretteten Afrikaner.
Besonders nachhaltig prägt sich hierbei ein kleines abgebildetes "Geisterboot" ins Gedächtnis ein, das ohne Besatzung unmittelbar unter der Wasseroberfläche im Meer trieb. Aufrüttelnd sind abgesehen davon auch Bierdels Schilderungen über das weitere Schicksal der geretteten Afrikaner, sei es über ihre Inhaftierung in einem berüchtigten römischen Anhaltelager oder über ihre Deportation. Fast alle Bootsflüchtlinge wurden in ein anderes Land als das ihrer Herkunft abgeschoben, wo sich eine christliche Mission ihrer annahm. Ein Weiterer wurde bald nach seiner Rückkehr von denjenigen Schergen schwer verletzt, vor denen er eigentlich geflohen war. Und ein anderer wiederum ertrank bei einem neuen Anlauf, nach Europa zu kommen.
Seit der Veröffentlichung von Bierdels Erzählung sind beinahe zehn Jahre vergangen. Sowohl Öffentlichkeit als auch Medien dürften sich an den Friedhof im Mittelmeer gewöhnt haben - in der Tat verhallt der Aufschrei von Menschenrechtsgruppen gegen das tagtäglich stattfindende humanitäre Leid meist ungehört. Bierdels Klage darüber, dass viele Menschen an den EU-Außengrenzen verschwinden, ertrinken oder verdursteten und von europäischen Grenztruppen abgewehrt werden, ist ebenso aktuell, wie die Liste seiner Fragen, die er am Ende des Buches gestellt hat. Zu den Fragen zählen:
- "Wie gehen europäische Küstenwachen, Zoll oder Marine vor, wenn sie 'Flüchtlingsboote zur Umkehr bewegen', wer überprüft, ob die zurückgewiesenen Botte seetüchtig sind und in welchem Zustand die Passagiere sind?"
- "Haben die Flüchtlinge ausreichend Trinkwasser, Nahrungsmittel und Treibstoff um die Rückfahrt zu bewältigen und wird die voraussichtliche Wetterentwicklung berücksichtigt?'"
Oder: - "Wie stellen die Besatzungen von Kreuzfahrschiffen sicher, dass es – vor allem nachts – nicht zu Kollisionen mit den für das Radar praktisch unsichtbaren Booten kommt?"