"Fühlen Sie sich alarmiert!" Das forderte Wilhelm Genazino in einer Rede in Saarbrücken, im Jahr 1999. Darin warnt der deutsche Schriftsteller vor dem faschistischen Potential in unserer Gesellschaft und zieht die politische Klasse zur Verantwortung: Denn mit dem Mut des Einzelnen allein ist der rechtsradikalen Gewalt – egal ob verbal oder physisch - nicht beizukommen. Da braucht es schon mehr als individuelle Zivilcourage, sagt er. Außerdem fordert eine Abkehr von Sprachkosmetik, das Wort Faschismus dürfe nicht länger bloß als Relikt der Vergangenheit verwendet werden.
Anlass für den geforderten Diskurswechsel gibt es leider genug, wie die vielen Toten rechtsextremer und rassistischer Gewalt zeigen. 169 Menschen wurden allein in Deutschland zwischen 1990 bis 2011 von Faschisten getötet, wie eine Liste mit den Opfern, ebenfalls im "Schwarzbuch Rassismus" (herausgegeben von Walter Gerlach und Jürgen Roth und im Vorjahr im Wallstein-Verlag erschienen), zeigt.
Sowohl diese Liste als auch Genazinos Rede sind nur zwei der vielen Beiträge in dem Sammelband, daneben gibt es Karikaturen und weitere Listen, wie die mit antifaschistischen und antirassistischen Organisationen im deutschsprachigen Raum. Zu Beginn finden sich außerdem starke Zitate von Bertolt Brecht, Albert Einstein, Arthur Schopenhauer und Lilian Thuram, der mit der französischen Fußballnationalmannschaft 1998 Weltmeister wurde. Er schrieb: "Rassismus ist ein Ergebnis von Erziehung und Kultur. Rassismus ist ein intellektuelles Konstrukt – und deswegen kann man es auch demontieren". Nur ist das mit dem Demontieren in der Praxis halt nicht so einfach. Allein beim Fußball zeigt sich, dass heute noch dunkelhäutige Fußballspieler von Fans mittels Nachahmen von Tierlauten beleidigt werden - verbale und tätliche Angriffe gehören aber auch für jene, die nicht unterm Flutlicht laufen, zum Alltag.
"Wamperte" Wortgewalt
Zwar sorgen fremdenfeindliche Übergriffe in sozialen und herkömmlichen Medien oft für große Empörung, aber diese allein kann sie nicht stoppen. Wie eine Studie der Universität Siegen aus dem Jahr 2010 zeigt, steigen "dezidiert antidemokratische und rassistische Einstellungen gegenüber dem Jahr 2008" an. Ein weiteres schlimmes Beispiel aus Deutschland: die NSU-Gewaltexzesse und die langjährigen fehlgeleiteten Ermittlungen. Spätestens seither sollte klar sein: Rassismus und Faschismus haben System. Das zeigte schon 1913 Karl Kraus in seinem in der Fackel erschienen Text "Der Neger", der die wamperte Wortgewalt der Wienerinnen und Wiener auch noch nach hundert Jahren kein bisschen alt aussehen lässt.
Alle Beiträge des Buches zu nennen, würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, darum sei auf die Liste einiger Autoren und Autorinnen weiter unten verwiesen. Das Buch sticht aber nur wegen der Vielzahl an Autoren, Genres und Dekaden heraus, eines seiner besonderen Stärken liegt vor allem auch darin, dass es als literarisch-essayistische Anthologie und als abwechslungsreiches, aufklärendes, mitunter komisches, illustriertes Lesebuch deutlich von wissenschaftlichen Publikationen abhebt. "Schwarzbuch Rassismus" ist ein "Antidot gegen Dummheit, Vorurteile und Diskriminierung", steht am Klappentext geschrieben. Dem ist nichts hinzuzufügen. Am besten, man überzeugt sich selbst davon.
Walter Gerlach, Jürgen Roth (Hg.), Schwarzbuch Rassismus. (Wallstein 2012). Mit Texten und Cartoons u.a. von: Matthias Altenburg (Jan Seghers), James Baldwin, Walter Bauer, Peter O. Chotjewitz, Detlev Claussen, Eva Demski, Jörg Dreyer, Bob Dylan, Frantz Fanon, Wilhelm Genazino, Severin Groebner, Teresa Habild, Hauck & Bauer, Heinrich Heine, Eckhard Henscheid, Janssen & Mayer, Mascha Kaléko, Ruth Klüger, Karl Kraus, Lame Deer, Primo Levi, Luther Standing Bear, Sheila Mysorekar, Ulrike Obermayr, Gerhard Polt, Michael Ringel, Marianne Rosenberg, Michael Sailer, Georg Seeßlen, Sitting Bull, Kurt Tucholsky, Mark Twain, Vanja Vukovic, Peter Weiss, Rayk Wieland, Jenni Zylka und viele mehr.