Wien. Wie verändern Twitter, Facebook, Instagram & Co unsere offene Gesellschaft? Diese Frage wird am Dienstag, 11. Dezember bei der Veranstaltung "Neue Medien und philosophische Kritik" im Rahmen der Dialogic-Serie von "Wiener Zeitung" und Ludwig Wittgenstein Gesellschaft diskutiert. Mit am Podium sitzt dann auch Anne Siegetsleitner, Professorin für Praktische Philosophie der Universität Innsbruck.

Wer will schon eine bittere Wahrheit hören? - © Hämmerle
Wer will schon eine bittere Wahrheit hören? - © Hämmerle

"Wiener Zeitung": Warum sind Twitter oder Facebook ein Thema für die philosophische Kritik?

Anne Siegetsleitner: Kritik heißt stets unterscheiden, nicht pauschal verdammen oder bejubeln. Als Praktische Philosophin beschäftige ich mich bereits seit den 1990er Jahren mit den Neuen Medien, damals ging es vor allem noch um E-Mail und die Folgen für unseren Alltag. Heute sind Facebook, Twitter und all die anderen längst Teil unseres Lebens geworden. Ihnen ist es gelungen, bestehende Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, etwa Beziehungen über räumliche Distanzen zu pflegen, sich zu informieren oder auch nur die Produktauswahl ein weiteres Mal zu steigern.

Anne Siegetsleitner Jg. 1968, seit 2013 Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Innsbruck mit Augenmerk auf Allgemeine und Angewandte Ethik, insbesondere Informations- und Medienethik. - © Foto August, Salzburg
Anne Siegetsleitner Jg. 1968, seit 2013 Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Innsbruck mit Augenmerk auf Allgemeine und Angewandte Ethik, insbesondere Informations- und Medienethik. - © Foto August, Salzburg

Wie haben die Neuen Medien unsere Gesellschaft politisch verändert?

Mit ihnen sind die Möglichketen für jeden Einzelnen, sich Gehör zu verschaffen und zu organisieren, enorm gewachsen. Man sieht das aktuell bei den "Gelben Westen" in Frankreich oder zuvor beim Arabischen Frühling. Die Neuen Medien haben die starre Kommunikation aufgebrochen: Wer was öffentlich sagen kann, und wie viel Raum er bekommt, hat sich massiv verändert.

Wo liegt also das Problem mit den Neuen Medien?

Wichtig ist, den Blick auf das Grundsätzliche und größere Ganze zu behalten. Neue Medien wirken nicht in einem luftleeren, regellosen Raum, das Internet war nie wirklich frei. Jeder Akteur, jede Akteurin steht auch hier in einem bestimmten, oft festen Verhältnis zu anderen Einzelnen und zur Gesellschaft, deshalb werden die Mächtigen auch digital immer mächtiger als andere sein. Allerdings haben sich nun die Chancen geändert, gegen die Mächtigen zu arbeiten. Gleichzeitig hat sich die Gefahr von falschen Informationen stark erhöht. Aber weil die Neuen Medien eben in die reale Welt eingebettet sind, sollten wir nicht jeden Hype, jede Übertreibung mitmachen. Das gilt für die Vorteile wie die Nachteile, etwa das ständige Gerede von Fake News. Eine Lüge bleibt eine Lüge, egal ob analog oder digital. Mich interessiert dagegen: Warum kommen solche lügenhaften Botschaften in unserer Zeit so gut an? Sind unsere mühsamen Errungenschaften der Aufklärung in Gefahr?

Fake News wie die Beschwörung der Aufklärung werden in der Tagespolitik oft zu bloßen Schlagworten degradiert.

Das stimmt, aber als Philosophin konzentriere ich mich nicht auf die Tagespolitik, sondern wie wir wieder zum offenen Austausch kommen. Daher versuche ich, meinen Blick auf die politischen Konzepte hinter den Schlagworten zu richten: Wem geht es tatsächlich um eine Wiederbelebung der Demokratie? Und wenn von Aufklärung die Rede ist, müssen wir die Selbstaufklärung mitdenken. Das bedeutet, dass wir zwar mit dem Kopf denken, aber die Emotionen nicht außen vor lassen dürfen. Diese allgegenwärtigen Fake News bedeuten ja nicht nur, dass wir Menschen plötzlich unverhohlene Lügen glauben, sondern dass wir in bestimmten Lebenslagen auch einfach beruhigt werden wollen. Es kann auch ein Bedürfnis nach Zuversicht sein. Da können zur Not auch Lügen willkommen sein. Wenn es Ihnen wirklich schlecht geht, dann wollen womöglich auch Sie nicht unbedingt eine bittere Wahrheit hören.

Ihr Gegenrezept?

Entscheidend ist, Vernunft nicht gegen Emotion auszuspielen. Tatsachen allein machen nicht glücklich. Hinter der Wut, die sich in der Realität wie im Internet via Neue Medien entlädt, stecken oft enttäuschte Erwartungen, nicht alles ist irrational. Deshalb müssen wir fragen, ob diese Erwartungen nicht vielleicht doch auch legitim oder jedenfalls nachvollziehbar sind.

Mittlerweile arbeitet die Gesellschaft darin, der Revolution der Neuen Medien Zügel anzulegen und eine feste, jedenfalls eine festere Ordnung überzustülpen; das gilt für Verstöße gegen Gesetze wie auch beim Bezahlen von Steuern. Was wird sich dadurch ändern?

Die Neuen Medien dem geltenden Regelwerk zu unterziehen ist unbedingt notwendig. Menschen wollen gehört und ernst genommen werden, sie wollen aber nicht verletzt, gekränkt oder in ihren Rechten beschnitten werden. Twitter, Facebook und Co sind ein Mittel zur Kommunikation, nicht mehr, aber auch nicht weniger.