Wenn man heute eine kleine Form von Gemeinschaftsgefühl in der Corona-Krise empfindet, dann kann man sich ein bisschen besser das verbindende Gefühl vorstellen, das der Brand des Stephansdoms in Wien kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs in Österreich hervorrief. Sein Wiederaufbau wurde schnell Symbol für den Wiederaufbau des ganzen Landes, die Pummerin zum Zeichen für einen kollektiven Neubeginn. Alle Bundesländer beteiligten sich daran, dass der Stephansdom wieder "geheilt" wurde. Der Brand jährt sich am Ostersonntag zum 75. Mal. Im ORF steht der Dom daher - nicht nur durch die coronabedingte Verlegung der Osterfeierlichkeiten auf den Bildschirm - mehrfach im Mittelpunkt.
In der Nacht auf den 12. April 1945 ist der Wiener Stephansdom in Flammen aufgegangen - wobei sich der Brand des Wahrzeichens über drei Tage zog. Der Brand dürfte durch Plünderungen in der Innenstadt ausgelöst worden sein. Die Wehrmacht kämpfte in der Stadt in jenen Tagen gegen die russischen Truppen. Zugleich machten sich Einheiten bereits auf dem Weg in den Westen. Auch die Feuerschutzpolizei Wien, wie die Feuerwehr damals genannte wurde, hatte Befehl erhalten, die gesamte Mannschaft und Ausrüstung aus Wien abzuziehen. Doch es gelang einigen Feuerwehrleuten, sich dem zu entziehen. Sie kehrten in die Stadt zurück. Unter ihnen war auch Leopold Meister.

Schicksalsschwere Apriltage
Er gehörte zu jenen Männern, die in der Türmerstube des Stephansdoms Dienst versahen. In seinen Erinnerungen berichtete er von den "schicksalsschweren Apriltagen des Jahres 1945": "Brennende Teile stürzten auf die Dombauhütte, welche ebenfalls Feuer fing und im weiteren Verlauf verbrannte, auch die große Orgel geriet durch Funkenflug in Brand, ergriff auch den südlichen Heidenturm, sodass nun das Feuer von mehreren Seiten gegen das Dach vordrang und eindringen konnte. Gleichzeitig ergoss sich ein Funkenregen über das Dach des Domes, welches durch die Beschießung der Deutschen beschädigt wurde und Glutstücke ungehindert in das Dachinnere gelangten. Als nun das Dach selbst Feuer fing, war das Schicksal des so schönen und stolzen Domes besiegelt."

Am Nachmittag des 12. April stürzte auch die 22 Tonnen schwere Pummerin samt dem Glockengebälk in die Tiefe und zerschellte am Boden. In der Nacht auf den 13. April war das gesamte Dach abgebrannt. Brennende Trümmer von Zehntausenden Fichtenholzstämmen der Dachkonstruktion lagen auf dem gemauerten Dachgewölbe des Kirchenschiffs, als eine Stützmauer des Daches umstürzte und das Gewölbe nahe dem Hauptaltar durchschlug, was zu weiteren massiven Schäden führte.
Bereits zuvor kleine Brände
Bereits in den Tagen vor dem verheerenden Geschehen hatten die Türmer von zahlreichen Bränden in den Häusern rund um den Stephansdom berichtet - es handelte sich um Folgen der Luftangriffe. Immer wieder gelang es einer Handvoll Feuerwehrleuten, Geistlichen des Doms und einer jungen Lehrerin, Brände, die auf den Dom übergegriffen hatten, mit sehr einfachen Mitteln zu löschen.
Letztendlich waren es Plünderer, die auf ihren Streifzügen durch leer stehende, benachbarte Häuser auch Feuer gelegt hatten. Der Funkenflug, starker Wind und viele Löcher im Dach des Doms durch vorhergegangene Angriffe waren die Auslöser für den letztendlich nicht mehr zu verhindernden großen Brand.

Am 23. April 1952 wurde der Stephansdom feierlich wieder eröffnet. Bereits am Tag vorher war die im oberösterreichischen St. Florian neu gegossene Pummerin in Wien empfangen und in einem Gerüst neben dem Dom provisorisch aufgestellt worden. Auch die Türmerstube wurde nach dem Krieg wieder bezogen. Die Funktion des Türmers, der Brände aus dem Wiener Stadtgebiet an die Feuerwehrzentrale Am Hof zu melden hatte, blieb laut Feuerwehr noch bis 31. Dezember 1955 besetzt. Ebenso versah Leopold Meister (1906-1966) weiterhin Dienst bei der Berufsfeuerwehr Wien.
Historische Ermittlungen
Am Ostermontag, dem tatsächlichen Jahrestag des Brandes, zeigt ORFIII (20.15 Uhr) die Dokupremiere " "Brandakte Stephansdom - Rekonstruktion einer Katastrophe". Dombaumeister Wolfgang Zehetner nimmt in der Neuproduktion historische Ermittlungen auf und rekapituliert mit Hilfe von Computeranimationen akribisch die ereignisreichen Tage des April 1945. Zeugen wie der damalige Sakristeidirektor Lothar Kodeischka, der eigenhändig die Flammen zu löschen versuchte, sowie der österreichische Wehrmachtshauptmann Gerhard Klinkicht, der in den letzten Kriegstagen den Befehl missachtete, den Dom niederzuschießen, liefern wertvolle Hinweise auf den Verlauf der Katastrophe.
"Brandakte Stephansdom – Rekonstruktion einer Katastrophe" ist der bereits sechste Teil der ORF-III-Dokumentarreihe über den Wiener Stephansdom. Seit 2015 dokumentiert ORF III jährlich einen weiteren Aspekt des Wahrzeichens. So standen bisher folgende Themen im Mittelpunkt: "Der Wiener Stephansdom – Geschichte eines Wahrzeichens", "Pummerin – Die Stimme Österreichs", "Mysterien von St. Stephan – Der unbekannte Dom", "Habsburg und der Dom – St. Stephan unter dem Doppeladler" und "Der Dom, der Halbmond und die Kreuzritter – Babenbergs Visionen für St. Stephan".
Prominente Gedanken zum Stephansdom
Der Ostermontag hat noch mehr Stephansdom auf ORFIII zu bieten: Im Vorabend zeigt die ORF-III-Neuproduktion "Eine Riesenorgel für den Stephansdom" (19.10 Uhr) von Rainer Keplinger, wie die alte, baufällige Orgel abgebaut und Schritt für Schritt instandgesetzt wurde. Anschließend äußern prominente Stimmen der Republik ihre "Gedanken zum Stephansdom" (20.00 Uhr).
Aber auch in seiner Funktion als Gotteshaus steht der Dom heuer mehr als sonst im Mittelpunkt - können doch Gläubige heuer nicht in ihre Kirchen, um Ostern zu feiern. Die Übertragungen der Messen aus dem Stephansdom sollen da Abhilfe schaffen. Am Karfreitag (10. April, 19.15 Uhr, ORF III), am Karsamstag (11. April, 20.15 Uhr, ORF III) und am Ostersonntag (12. April, 10.30 Uhr, ORF2) feiert Kardinal Christoph Schönborn live mit der Fernsehgemeinde Gottesdienste aus dem Dom. (apa/cb)