Es ist überall: vom U-Bahnplan bis zum Bier-Etikett. Überall ist Grafikdesign drin oder besser: drauf. Die Urheber dieser Alltagskunstwerke kennt man freilich meistens nicht. Also zumindest die wenigsten. Außer sie sind Stefan Sagmeister, der Österreicher, der mit Pop-Albumcovers unter anderem für die Rolling Stones berühmt wurde. Oder Shepard Fairey, der die legendäre "Hope"-Obama-Kampagne gestaltete. Sie alle, ob bekannt oder weniger bekannt, haben am Wochenende ihren Säulenheiligen verloren. Der Mann, der 70 Jahre als impulsgebender Star der Zunft gelten konnte: Milton Glaser starb am Samstag, seinem 91. Geburtstag.

Seine berühmteste Schöpfung kennt wahrscheinlich jeder Mensch, und sehr viele haben sie wahrscheinlich sogar im Kasten als T-Shirt oder im Geschirrschrank als Häferl: Glaser erfand das berühmte "I love New York"-Logo, in dem das Wort "love" als Herz ersetzt wird. Mitte der 70er wollte New York sein raues Image als Verbrechensmetropole loswerden, das neue Logo sollte helfen. Und das tat es - und wurde ganz nebenbei zu einer Ikone der Popkultur. Von der hatte sich Glaser übrigens auch inspirieren lassen, konkret von Robert Indianas "Love"-Schriftzug, in dem die Buchstaben auch quadratisch praktisch gut übereinandergestapelt und aneinandergeschmiegt sind.

Eines der berühmtesten Logos der Welt - und ein nachhaltiger Impuls für Sprachverständnis. - © Milton Glaser
Eines der berühmtesten Logos der Welt - und ein nachhaltiger Impuls für Sprachverständnis. - © Milton Glaser

Glasers New-York-Schriftzug ist auch ein Beispiel für den Triumph des Simplen: drei Farben, Weiß, Rot, Schwarz. Drei Buchstaben. Ein prominentes Symbol. Die Schreibmaschinen-Typografie weckt noch im Abgang Assoziationen zu Literatur und Kunst im Allgemeinen - im Unterschied zu Drogenraub und Gangschießereien. Die emotionale Komponente des Logos kam besonders nach den Angriffen des 11. September auf die Twin Towers heraus: Da gestaltete Glaser kurzerhand eine Ergänzung: "I love New York more than ever" - überall wurde der Schriftzug solidarisch geteilt. Kurz gesagt: Lehrbuchhafter geht ein Logo kaum mehr.

Das sah Glaser, der 1929 als Sohn ungarischer Einwanderer in der Bronx geboren wurde, übrigens ganz und gar nicht so. "Es war ein Job wie jeder andere auch. Ich weiß, das ist eine oberflächliche Beschwerde, aber ich würde mir wünschen, dass einige Menschen wüssten, dass ich auch etwas anderes getan habe, und dass, wenn man es aus der großen Perspektive betrachtet, das Logo eine banale Arbeit ist."

Da hat er natürlich recht gehabt. Zumal gerade die Simplizität gar nicht symbolhaft für die vielen Arbeiten stehen kann, die Glaser gemacht hat in seiner immerhin sieben Jahrzehnte umspannenden Karriere. Er begann in einer Zeit, als es pionierhaft war, sich von den gemäldeähnlichen Grafiken der 50er abzuwenden und einen comicartigeren, verspielteren Stil anzuwenden. Apropos: Glaser konzipierte übrigens auch das Logo der DC Comics. 1954 gründete er die Push Pin Studios, die ziemlich im Alleingang das designten, was man heute landläufig als die typische optische Verbrämung der 60er ansieht: fließende Linien, die sich mit strengen Mustern in Wettstreit begeben, das alles gern in Regenbogenfarben.

Als eine Art Hommage kann man eine seiner jüngeren Arbeiten sehen: eine besondere Form des Meta-Grafikdesigns. Für die letzte Staffel der Werbeagentur-Serie "Mad Men" kreierte er die Werbesujets. Wer sollte das auch besser können als jemand, der die 60er und 70er nicht nur erlebt, sondern auch optisch mitgestaltet hatte. Nicht umsonst ähnelten die bunten Schlieren, die sich um die Silhouette des rauchenden Don Draper schlingen, einer von Glasers berühmtesten Arbeiten, einem Poster für Bob Dylans Greatest-Hits-Album im Jahr 1966. Es zeigt das Profil des Folksängers in Schwarz, garniert mit psychedelisch bunten Haarlocken. Dabei hat sich Glaser übrigens bei einem Porträt von Marcel Duchamp bedient, wie er selbst erzählte.

Ein Stadtmagazin

Sehr nachhaltig erwies sich auch eine publizistische Gründung, an der Milton Glaser beteiligt war: Das "New York Magazine" entstand 1966 als Zusammenarbeit mit Clay Felker, einem der Wegbereiter des "New Journalism". Glaser selbst hatte eine Kolumne, in der er berichtete, wo man gut und günstig essen gehen kann. Das Magazin sollte Vorbild von vielen Stadtmagazinen weltweit werden.

Auch wenn er selbst seinen berühmtesten Schriftzug nicht genial gefunden hat: Dass er eine Form der Kommunikation vorweggenommen hat, das muss auch er gesehen haben. Wenn heute jemand ein Emoji verschickt, geht das im Grunde auf ein Sprachverständnis zurück, das dieses "Ich Herz NY" uns beigebracht hat. Eine zufällige Kulturleistung vielleicht - aber eine machtvolle.