Wäre es nicht Facebook, wäre die Welt eine gerechte und würde man als Nutzer immer so handeln, wie es das Beste für alle wäre, dann wäre es ganz einfach: Dann würde ein Unternehmen, das einen Bock nach dem anderen schießt, nämlich schon nicht mehr existieren, dann würden die Kunden schon zu anderen Anbietern übergelaufen sein und das Thema vom Tisch. Doch es ist nun einmal Facebook mit seiner Machtposition, ein Markt, der nicht alles und schon gar nicht bei digitalen Unternehmen mit einer gewissen Monopolstellung regelt, und weder Kunden noch Werbetreibende sind bislang in großem Maßstab ausgestiegen.

Und doch, es scheint, als würde der aktuelle Facebook-Boykott seine Spuren hinterlassen. Nicht nur, weil er Facebook-Gründer Mark Zuckerberg laut neuen Schätzungen bisher 7 Milliarden Dollar gekostet haben soll. Die Organisationen der Werbeboykott-Kampagne erhöhen den Druck auf Facebook. Sie rufen nun auch europäische Unternehmen dazu auf, sich an der Aktion "Stop Hate for Profit" zu beteiligen, sagte ein Vertreter der Bürgerrechtsorganisation. Zuvor hatten bereits mehr als 160 US-Konzerne Werbeanzeigen bei Facebook gestoppt, um die Online-Plattform damit zu einem stärkeren Vorgehen gegen rassistische und gewaltverherrlichende Inhalte zu bewegen. Die großen Namen dabei lauten Unilever, Honda oder auch Coca Cola, das ebenfalls ankündigte, für mindestens 30 Tage auf allen sozialen Plattformen weltweit seine Werbung auszusetzen. "Es gibt keinen Platz für Rassismus in der Welt und keinen in den Sozialen Medien", sagte Konzernchef James Quincey in einer Mitteilung. Während der Werbepause will Coca Cola nun seine Werbestrategien überprüfen und festlegen, ob Änderungen nötig sind.

"Wir erwarten auch mehr Verantwortlichkeit und mehr Transparenz von unseren Social-Media-Partnern", betonte er. Der weltweit führende Schokoladenproduzent Hershey bestätigte, sich dem Boykottaufruf anzuschließen und im Juli keine Anzeigen zu schalten. Zudem wolle das Unternehmen seine Ausgaben für Facebook und die Tochter Instagram für den Rest des Jahres um ein Drittel kürzen. Allein bei Coca Cola habe der Werbeetat in den USA 2019 geschätzte 22 Millionen Dollar (knapp 21 Millionen Euro) ausgemacht, berichtete die "New York Times" mit Verweis auf Daten des Branchenanalysten Pathmatics. Bei Unilever seien es rund 42 Millionen Dollar gewesen.

An empfindlicher Stelle

Die US-Protestwelle gegen Rassismus und Polizeigewalt im Zuge des Todes des Afroamerikaners George Floyd hatte die Kritik an Facebook wieder aufflammen lassen, zu nachlässig mit kontroversen Beiträgen umzugehen. Dazu trug auch Konzernchef Zuckerberg wesentlich bei, der sich weigerte, gegen umstrittene Aussagen von US-Präsident Donald Trump einzuschreiten. Dafür gab es sogar Kritik von eigenen Mitarbeitern. Mit dem Aufruf der von Bürgerrechtsorganisationen Mitte Juni ins Leben gerufenen Initiative #StopHateForProfit zum Werbeboykott soll der Konzern an einer empfindlichen Stelle getroffen werden - Facebook macht fast seinen ganzen Umsatz mit Werbeerlösen.

Die Aktien von Facebook und auch Twitter gerieten mit dem sich ausweitenden Boykott stark unter Druck. Facebook verlor gut acht Prozent, was der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge einem Wertverlust von 56 Milliarden Dollar (etwa 53 Milliarden Euro) entsprach. Zuckerberg habe damit 7 Milliarden Dollar seines Privatvermögens eingebüßt.

Wer wirklich entscheidet

Wohl unter dem wachsenden Druck brach Zuckerberg in einem Livestream sein Schweigen und kündigte an, künftig stärker gegen Hassnachrichten vorzugehen, Falschmeldungen unmittelbar vor der US-Präsidentenwahl zu löschen sowie die Standards für Werbung zu erhöhen. "Ich stehe gegen Hass und alles, was zu Gewalt anstachelt", sagte Zuckerberg am Firmensitz in Palo Alto, in dem er die geplanten Maßnahmen seines Unternehmens ankündigte. Außerdem sollen auch in der Werbung abwertende und hasserfüllte Botschaften bezüglich ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder sexueller Vorlieben blockiert werden, wie Zuckerberg weiter sagte. Zudem sollen einige Facebook-Inhalte, die eigentlich gegen die Richtlinien des Sozialen Netzwerks verstoßen, aber zum Beispiel aufgrund eines prominenten Absenders nachrichtenrelevant sind, künftig mit Hinweisen flankiert werden.

Analysten sehen in dem aktuellen Boykott eine noch größere Gefahr für das Soziale Netzwerk als der Cambrigde-Analytica-Skandal vor ein paar Jahren. "Facebook hat etwas verbockt, und die Nutzer sind trotzdem da, die Werbetreibenden sind immer noch da - dieses Mal sieht es anders aus", so eMarketer-Chefanalystin Debra Aho.

Wirklich entscheidend sei jedoch, was die Nutzer nun machen würden. Bleiben sie der Plattform treu, dann wird sich genauso wenig ändern wie nach Cambridge Analytica oder den etlichen Datenschutzskandalen. Werden die Anwender aber auf andere Plattformen wechseln, so würde dies Facebook massiv treffen. Auch Analyst Blake Droesch sieht die entscheidende Auswirkung erst dann, wenn eine breite Nutzerbasis gegen Facebook und seine Geschäftspraktiken vorgeht und das Netzwerk sein Geschäftsmodell verändern muss.

Mark Shmulik, Analyst bei AB Bernstein, sieht eine weitere spannende Frage am Horizont: "Was werden die Unternehmen, die jetzt beim Boykott mitmachen, Ende Juli tun? Wenn Facebook keinerlei fundamentale Änderungen macht, dann wird es spannend sein, wie die Firmen eine Rückkehr argumentieren. Werden Sie einfach zurückkehren und so tun, als wäre nichts gewesen? Wenn sie aber ihren Protest ausweiten, dann wird es interessant."

"Es wird Facebook finanziell nicht schaden", prognostiziert Brent Thill von Jefferies: "Wenn man acht Millionen Werbetreibende hat, kommt es auf ein paar wenige nicht an. Es werden andere nachrücken und wenn Facebook seine Preise senkt, werden noch mehr nachrücken." Kleine Unternehmen haben kaum eine Chance, ohne Facebook an Kunden zu gelangen, und müssten der funktionierenden Plattform die Treue halten, so die Argumentation.

Und dann ist es am Ende also doch eine Frage, was will und kann jeder Einzelne tun? Werden die Unternehmen durchhalten, bis Facebook reagiert? Wird Facebook wirklich substanzielle Änderungen durchführen? Und wird es den Nutzern irgendwann einmal zu bunt? Die Antworten darauf wird man erst Ende August bekommen, bis dahin ist aber eines sicher: Es ist eine entscheidende Phase in der Auseinandersetzung zwischen Facebook und seinen Nutzern und "Black Lives Matter" setzt immerhin deutliche Zeichen.