Journalist, Buchautor und Zeitungsherausgeber Heinz Nußbaumer war unter Hugo Portisch Außenpolitik-Ressortleiter des "Kurier". In den 1990er Jahren war er Sprecher zweier Bundespräsidenten. Später wurde er zum Herausgeber der Wochenzeitung "Furche" bestellt. Seine ganze Karriere lang setzte er sich in unzähligen Gremien für besser Bedingungen für den Qualitätsjournalismus ein. Heute sieht der Doyen des heimischen Journalismus dringenden politischen Handlungsbedarf, wie er der "Wiener Zeitung" erklärt.
"Wiener Zeitung": Ihnen ist der Qualitätsjournalismus seit Jahrzehnten ein Anliegen. Wenn Sie auf die Medienlandschaft blicken, was sehen Sie?
Heinz Nußbaumer: Fairerweise muss man sagen, dass unsere Medienfreiheit intakt ist. Aber der Qualitätsjournalismus hat es in Österreich schon immer schwer gehabt, aus ganz verschiedenen Gründen: der Druck von Interessen aus der Politik zum Beispiel, aber auch die Interessen der Eigentümer. Das ist nicht neu, Druck hat es immer gegeben. Aber ich glaube, dass der Druck direkter und - ich formuliere es ganz hart - auch unverschämter geworden ist. Was in den letzten Jahren dazukommt, ist der Druck von den Konsumenten selbst. Beleidigungen, Beschimpfungen, das, was wir heute als "Hass im Netz" bezeichnen. Die Radikalisierung der Sprache wird immer ungenierter. Aber nicht nur verbal. Auch dass politische Gegner plötzlich vor der Wohnungstüre stehen, ist offensichtlich kein Tabu mehr. Vor allem in Deutschland haben wir das in letzter Zeit immer wieder erlebt.
Was mich auch wirklich unglücklich macht, ist die jährliche Bewertung der Pressefreiheit durch Reporter ohne Grenzen. Da sind wir erneut zurückgefallen - so schlecht waren noch nie. Damit sind wir jedoch nicht alleine in Europa. Der Versuch, kritische Medien einfach mundtot zu machen, geht zwar schleichend, aber konsequent. Das ist kein österreichisches Phänomen, aber auch bei uns spürbar.
Wie beurteilen Sie den wirtschaftlichen Druck auf die Medienhäuser? Es wird seit fast 15 Jahren gespart, Stellen werden nicht nachbesetzt, Teams verkleinert oder mit zusätzlichen Aufgaben belastet. Das schränkt natürlich die Zeit ein, die für guten Journalismus zur Verfügung steht.
Ich habe viele Jahre lang mit jungen Journalisten Fragen der Medienethik diskutiert. Das waren meist exzellent ausgebildete Menschen, die einen sehr hohen Anspruch an ihren künftigen Beruf hatten. Wenn ich manche davon Jahre später erneut getroffen habe, haben sie mir erzählt, wie sich ihr Bild vom eigenen Beruf zum Negativen verändert hat. Wie das, was sie sich vorgenommen hatten, in der erlebten Praxis nicht durchsetzbar war. Das gilt einfach immer öfter: Weil immer weniger Leute zur Verfügung stehen, muss immer mehr in weniger Zeit produziert werden. Oft sogar ohne jede inhaltliche Kontrolle. Reisen beispielsweise zu Recherchezwecken, etwa in der Außenpolitik, finden fast gar nicht mehr statt, weil die Chefetage sagt, das gibt es doch eh alles im Internet. Mitunter wird mir berichtet, dass Texte vor dem eigentlichen Ereignis vorgeschrieben werden, weil sonst zu wenig Zeit vorhanden ist. Dazu kommt, dass der Journalist nicht mehr mit Aufnahmegerät und Notizblock unterwegs ist, sondern auch Fotos, Ton- und Videoaufnahmen für die Online-Medien machen soll. Sicher, das ist nicht die Regel, aber es kommt immer öfter vor. Da passiert eine Veränderung zum Schlechteren, die mich sehr betrübt.
Es ist zu bezweifeln, dass die wirtschaftliche Situation eine Verbesserung der Bedingungen zulässt. Muss man vielleicht einfach zur Kenntnis nehmen, dass es für den Qualitätsjournalismus eng wird?
Ganz zurückdrehen wird man es nicht können. Aber natürlich muss die Frage des Personals ein ganz zentraler Punkt für jede künftige Presseförderung sein. Gerade für Qualitätsmedien ist das Thema "Personaleinsparung" ganz wesentlich. Unter einer gewissen Personalausstattung ist Qualität nicht möglich. Die Gefahr ist nämlich dass sich PR-Inhalte Platz verschaffen, weil das Produkt sonst nicht mehr ausreichend gefüllt werden kann.
Die Einstellung der ersten Printausgaben, auch österreichischer Medien, ist wohl praktisch nur noch eine Frage der Zeit. Muss man damit rechnen und was bedeutet das für den Qualitätsjournalismus?
Das scheint tatsächlich eine nahezu unausweichliche Entwicklung. Nachdem es ein Faktum ist, dass es ohne umfassende Digitalausgaben nicht mehr geht, stellen sich für die Printausgaben Existenzfragen. Hugo Portisch hat das vor 40 Jahren bereits vorausgesagt - und wir müssen wohl damit rechnen.
Das wird dann natürlich mehrere Zeitungen auf einmal betreffen, da auch der Vertrieb gemeinsam organisiert ist. Wenn da eine Zeitung wegfällt, sind die anderen auch nicht mehr finanzierbar. Da würde Österreich dann auf einen Schlag einen großen Teil der Zeitungen verlieren. Muss man nicht befürchten, dass das dem Qualitätsjournalismus den Rest gibt?
Diesen Gedanken erspare ich mir, weil ich ein Optimist bin. Aber natürlich haben Sie recht. Wir sehen ja jetzt schon, dass die Redaktionsstäbe immer kleiner werden und der Rest mit dem Prekariat gefüllt wird. Das ist natürlich sehr schlimm, auch weil man viel mehr Druck von außen ausgesetzt ist. Und weil da auch eine intakte Qualitätssicherung wegfällt. Das aber ist eine Investition in die Infrastruktur unserer Demokratie.
Was wäre aus Ihrer Sicht das Pflichtenheft an die Bundesregierung zur Presseförderung?
Ich erlebe jetzt seit Jahren immer wieder Diskussionen und Enqueten zu einer Reform des Förderwesens. Ich bin mir mittlerweile nicht mehr sicher, wie stark hier die innere Entschlossenheit der Gesetzesmacher ist. Wenn man sich vorstellt, dass zuletzt zwei Drittel der Regierungsinserate an Medien mit hoher Auflage gegangen sind, wird hier momentan nur Auflage gefördert. Auflage ist aber nicht gleich Qualität. Das ist eine Verteilung nach Gutsherrenart. Das Kriterium müsste sein: Wie viele Journalisten leistet sich ein Medium? Gibt es ein Redaktionsstatut, das die journalistische Freiheit absichert? Unterwirft man sich der Kontrolle durch den Presserat und dem Ehrenkodex? Wie viele Korrespondenten leistet man sich? Engagiert man sich in der Ausbildung?
Sie haben sich mit dem verstorbenen Hugo Portisch gemeinsam für den Weiterbestand der "Wiener Zeitung" eingesetzt. Stand der Debatte ist, dass die Gefahr der Einstellung der Printausgabe besteht. Wie sehen Sie das?
Das Verschwinden der "Wiener Zeitung" wäre für alle, die sich um den Qualitätsjournalismus kümmern, ein harter Schlag. In der Schweiz gibt es eine Vielzahl an qualitätsvollen Medien, in Österreich sind es schon jetzt fast beschämend wenige. Natürlich ist an dem Argument der Politik etwas dran, dass es nicht "Aufgabe" eines Staates ist, eine Zeitung zu erhalten. Aber hier geht es nicht um irgendeine Zeitung. Sondern um ein in der internationalen Medienlandschaft einmaliges Vermächtnis. Noch dazu um eines, das sich durch eine Vielzahl an journalistischen Leistungen bewährt hat. Das kann man nicht mit lockerer Zunge in den Orkus schicken. Da gibt es eine Verpflichtung. Der Presseclub Concordia wird am kommenden Montag einen pragmatischen Vorschlag zum Erhalt der Zeitung machen. Und die Regierung wäre meiner Meinung nach sehr gut beraten, diesem Vorschlag ihre Sympathie zu schenken.