Einer ging. An diesem Freitag. Er war im gleichen Alter. Wir waren irgendwie Komplizen, mussten Komplizen sein, damals, als die Medienlandschaft des Landes neue Zeitschriften und neue Radioformate hervorbrachte. Damals, das war vor 40 Jahren. Und wir waren 20.

Kennengelernt habe ich Martin Blumenau 1981, als er gemeinsam mit dem späteren Musikproduzenten Walter Gröbchen eine Jugendzeitung in einem Café verteilte, bei der er offenbar schreibend zu tun hatte. So klar wurde das an diesem Abend nicht, denn Blumenau war schon damals jener I-prefer-not-to-Distanzierte, der er sein Leben lang blieb: Sich nie zu sehr mit einer Publikation gemein machen, immer ein Selbst bleiben, aber auch keine richtige Marke aus sich machen wollen wie andere es in den 1980er Jahren schnell taten. Blumenau war eher still, wenn er jedoch loslegte, und mit zunehmenden Jahren ließ er sich das immer weniger nehmen, dann brillierte er mit Sarkasmus. Und auch manchmal mit einem schon sehr speziellen und gefährlichen Zynismus. Mir gefiel das. Anderen nicht.

Legendärer Mitternachtstalk

Legendär war seine Mitternachts-Sendung bei FM4, eine Art Talk-Radio, bei der er Personen, die anriefen, fertigmachte, wie es im österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nie zuvor und nie danach mehr geschah. Dazwischen aber riefen auch Menschen an, die an der Kippe standen. Blumenau hörte das entweder sofort oder beim zweiten Satz und wurde in der Sekunde ganz die gegenteilige Person, die er vorher spielte, wurde Psychologe und Freund und rettete, und das ist keine Übertreibung, vielleicht auch manches Leben.

Die Sendung war schon damals betrachtet selbstlaufender Müll; ein Format, das sowohl alles Üble wie alles Noble aus Blumenau herausholte. Man kann dem nicht existenten Schicksal danken, dass kein Fernsehmacher je die Sendung hörte, der Blumenau ein TV-Angebot unterbreitet hätte. Wir würden uns heute anders an ihn erinnern.

Eines Tages, wir sind wieder zurück in den 80er Jahren, traf ich Blumenau zufällig am Naschmarkt. Nach einem Getränk gingen wir in eine kleine Wohnung, die er zur Miete hatte. Nachdem er die Tür öffnete, ohne mir zu sagen, was sich dahinter befand, führte er mich in zwei Räume, teils bis zur Decke mit Zeitschriften und vor allem mit Zeitungen angefüllt, darunter Tagesausgaben der "Frankfurter Allgemeinen" und der "Süddeutschen". Hier lag alles, was einen scharfen Verstand noch in Sachen Schärfe schulte. Ich fragte ihn, ob er hier manchmal zum Lesen herkäme, zum Nachschlagen. Er antwortete: "Ich kann diese Zeitungen einfach nicht wegwerfen. Einen anderen Grund gibt es nicht." Geglaubt habe ich ihm das nicht. Als es eines Tages im Nebenhaus brannte, ich saß mit meiner Freundin in einem nahen Gastgarten beim Wein, da war Martin vor der Feuerwehr da, um nachzusehen, ob sein Zeitungslager vom Brand betroffen wäre. Kann man Journalismus mehr lieben?

Ich war vor 35 Jahren Fotograf bei den damals angesagtesten Zeitschriften in Wien. Und bald holten mich die Deutschen nach Deutschland. Wir waren alle inzwischen 30 und liefen uns nicht mehr so dauerhaft zufällig über den Weg, wie wir es in den 80ern taten. Von Blumenau hörte ich erst wieder, als ich FM4 hörte. An meinen Wochenenden in Wien.

Man traf sich dann in manchen Runden, bei manchem Konzert, bei mancher kulturpolitischen Podiumsdiskussion, wo ich seine Meinung, die immer richtig fundiert und ausgewogen war, ohne neutral zu bleiben, für wichtig hielt. Er hat mein Denken sehr oft in großen Sprüngen weitergebracht – er war Erholung im denkfaulen Wien.

Gestritten haben wir nur über Bob Dylan, den ich verachte. Sein Radiobeitrag über den Dylan-Song "The Times They Are a–Changin’" war aber das Größte Gesprochene, das ich je über ein Lied hören durfte.

Das Feuilleton, das er verdiente, das schrieb er dann auf der Webseite von FM4. Und auch die unzähligen unfassbar genauen Beiträge und Kritiken über Fußball. Ich, der da schon eine Zeit auch als Autor für deutsche Leitmedien arbeitete, erkannte die Verschwendung dieses Talents. In Wien, wo man Talente hasst. Ihm aber war es hier lieber. Und gut so. Martin Blumenau wurde 60 Jahre alt. Er hinterlässt eine junge Familie. Das alles tut weh, irre weh!