Eine Gruppe von Balletttänzerinnen mit einer Szene aus Schwanensee, dahinter ein Atompilz. Mit diesem ikonischen Cover - Symbole, die in Russland jeder kennt - illustriert die unabhängige und Kreml-kritische Zeitung "Nowaja Gaseta" die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine und Russland. Doch wie steht es um die Medienlandschaft in Russland? Seit dem Überfall auf die Ukraine hat sich die ohnehin schwierige Medienlage in Russland rasant verschlechtert. Nachdem Wladimir Putin ein Mediengesetz erlassen hatte, das für das Verbreiten von angeblichen Fake News über die russischen Militäraktionen Haftstrafen androht und seither etwa der Begriff "Krieg" im Zusammenhang mit der Ukraine untersagt ist, setzten zahlreiche internationale Medien die Berichterstattung aus ihren Moskauer Studios aus.
Newsletter und Youtube
Einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen gaben die beiden Journalisten Galina Timtschenko und Kirill Martynov bei einer Veranstaltung von fjum, Presseclub Concordia und International Press Institute (IPI) mit dem Titel "Wird Russlands unabhängiger Journalismus die Sanktionen des Kreml überleben?". Galina Timtschenko ist Gründerin des in Lettland ansässigen Kreml-kritischen Online-Mediums "Meduza". Martynov ist Journalist bei der russischen "Nowaja Gaseta", Mitbegründer der Free Moscow University und war früher als Philosophieprofessor tätig.
"Die unabhängigen Journalisten und Journalistinnen Russlands waren die ersten Opfer in Putins Kriegsplanung", so Timtschenko. Denn wesentlich für einen Erfolg ist, dass die unabhängigen Medien zum Schweigen gebracht werden, um so die Gräuel des Krieges von der russischen Bevölkerung fernzuhalten. Nur so kann Putin diesen Krieg gewinnen.
"Wir erleben gerade den Bau einer neuen Mauer. Es wird nicht mehr in Berlin passieren, ich weiß nicht, welche Stadt es sein wird, aber nennen wir sie einmal die "Moskauer Mauer", meint Martynov. Eine digitale Mauer unter der Kontrolle des Kreml. Schon seit einiger Zeit arbeitet der russische Präsident Putin an einer Kopie des chinesischen Modells in Russland. Unabhängige russische Journalisten fürchten weitere Repressionen und einen "digitalen Eisernen Vorhang" in Russland. Sollte Moskau keine Sperre über digitale Medien verhängen, würden "immer mehr Russen erfahren, was in der Ukraine passiert", und das Misstrauen in die staatliche Propaganda steigen. "Das Einzige, was sie tun können, ist, die Bürger von allen Quellen unabhängiger Information abzuschneiden", sagte Martynov. Derzeit schon unter schwerem Druck stehen nun noch schlimmere Aktionen gegen die Journalisten im Raum. "Es werden schwarze Listen angelegt. Der Kreml weiß, wer die Journalisten im Land sind, und er weiß auch, wo er sie findet", so Martynov. "Viele Journalisten sind ins Ausland geflüchtet. Aber wir werden nicht aufgeben und weiter berichten", so Timchenko. Im Ausland hätten sie aufgrund der Sanktionen Schwierigkeiten, auf ihre Bankkonten und Kreditkarten zuzugreifen.
Putins Krieg gegen alle
Nachdem die klassischen Kanäle gesperrt wurden, müssen Alternativen gefunden werden: Newsletter sind aktuell eine der besten Möglichkeiten, auch Youtube ist unglaublich wichtig in dieser Zeit. "Meduza" sei in Russland zwar gesperrt, "aber wir senden weiterhin auf allen Plattformen", betonte Timtschenko - über E-Mail-Newsletter, Messengerdienste, soziale Medien, Podcasts oder auf der Videoplattform YouTube. "Meduza" habe etwa mehr als eine Million Nutzer in ihren Telegram-Kanal. Das größte Onlinemedium in Russland sei YouTube mit rund 45 Millionen täglichen Usern, ergänzte Martynov. Viele Russen nutzen die Plattform nur für Unterhaltung. Deswegen könnte eine Blockade Unzufriedenheit auslösen, meinte der Journalist, dessen Zeitung als eines der wenigen unabhängigen Medien in Russland aktuell noch in Kiosken gekauft oder online gelesen werden kann.
Timtschenko, deren Medium Ende April zum "ausländischen Agenten" erklärt und in Russland blockiert wurde, erwartete eine weitere Verschärfung der Situation für unabhängige Journalisten. Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hatte nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine allen Medien die Begriffe "Angriff", "Invasion" oder "Kriegserklärung" im Zusammenhang mit der Berichterstattung untersagt. Die Verbreitung angeblicher Falschinformationen über die russischen Streitkräfte kann mit hohen Geldstrafen und bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden.
"Wir werden weiter für einen unabhängigen Journalismus in Russland eintreten und kämpfen. Diesen Krieg wird Putin nicht gewinnen", so die einhellige Meinung der beiden Journalisten.