Gewöhnlicherweise verbringt Michael Moser seine Tage am Institut der Slawistik an der Universität Wien und forscht und lehrt zur Geschichte der slawischen Sprachen. Schwerpunkte seiner Forschung bilden dabei Ukrainisch, Russisch und Polnisch. Die aktuelle weltpolitische Lage lässt derzeit aber kein "Gewöhnlicherweise" zu: Über sein Fach hinaus ist Moser durch seine ukrainische Frau auch persönlich vom russischen Angriffskrieg betroffen, er bezeichnet sich selbst als Österreicher und Ukrainer. "Ich befinde mich im Krieg", wiederholt er mehrmals im Gespräch.

"Unsere Sprache wird immer deutlicher", meint der Slawist Michael Moser. - © privat
"Unsere Sprache wird immer deutlicher", meint der Slawist Michael Moser. - © privat

"Wiener Zeitung": Derzeit hört man oft Forderungen, ukrainische Ortsnamen im Deutschsprachigen gemäß der ukrainischen Transliteration zu schreiben. Aus der russischen Schreibung "Kiew" würde das ukrainische "Kyjiw" werden. Warum ist das wichtig?

Michael Moser: Die meisten ukrainischen Ortsnamen werden im Deutschen auf der Grundlage des Russischen wiedergegeben, welches in der Ukraine jedoch eine Kolonialsprache ist. Am Flughafen Wien-Schwechat liest man derzeit auf Englisch "Kyiv", auf Deutsch aber "Kiew". Was man im Englischen schafft, wird wohl auch bei uns möglich sein. Erst recht in Zeiten, in denen wir es mit einem versuchten Völkermord zu tun haben.

Trotzdem werden die ukrainischen Ortsnamen im Deutschen immer noch meist aus dem Russischen übersetzt geschrieben. Ist das ein Überbleibsel aus Zeiten der Sowjetunion oder aus dem Zarenreich?

Sowohl als auch. Die meisten Ortsnamen sind imperiales Erbe, ob zarisch oder aus der Sowjetunion.

Wie verhält es sich mit deutschen Städtenamen, wie Lemberg?

Wenige Ortsnamen haben eine deutschsprachige Tradition, wie Lemberg und Tschernowitz. Lemberg hat nichts Deutschtümelndes an sich und es liegt auch keine Sehnsucht nach der Habsburgermonarchie nahe. Es lautet faktisch gleich im Jiddischen und geht zurück auf deutsche Besiedelungen im Spätmittelalter. Ich selbst sage Lemberg, füge aber häufig bei der ersten Nennung Lwiw hinzu. Die ukrainische Namensform ist hier noch dazu für Deutschsprachige schwer zu erfassen.

Sollte man also auch die mündliche Aussprache im Deutschen an die ukrainischen Formen anpassen?

Das liegt auf der Hand, schließlich findet gerade ein Paradigmenwechsel statt. Auch andere Länder und Städte haben im Laufe der Zeit andere Namen bekommen. Ich bin nicht immer ein glühender Fanatiker bezüglich sämtlicher Maßnahmen, die man als politische Korrektheit bezeichnet. In diesem konkreten Fall jedoch möchte ich fragen: Wann, wenn nicht jetzt? In einer Zeit, in der es dankenswerterweise eine überwältigende Solidarität für die Ukraine gibt, wann, wenn nicht jetzt sollte man diesen Schritt setzen?

Ist die Ortsnamenschreibung in der Ukraine einheitlich?

Nein. Ich habe eine Wohnung in Kyjiw, die Adresse ist in drei Formen angegeben: eine aus Sowjetzeiten in nicht korrektem Ukrainisch, eine neuere in korrektem Ukrainisch und eine mit dem Namen eines - in Anführungszeichen - kommunistischen Helden. Das ist in der Ukraine kein Einzelfall.

Wird sich das mit dem Krieg ändern und sich in der Ukraine eine einheitliche Schreibung der Ortsnamen durchsetzen?

Die Ukraine wird als Folge des Krieges zahlreiche entschiedene und entscheidende Schritte setzen, die gestützt von der zivilisierten Welt eine deutlich bessere Zukunft bringen - ja, das gilt auch für den sprachlichen Bereich.

Ist Ukrainisch in der Ukraine die einzige Amtssprache?

Ukrainisch wurde noch in spätsowjetischen Zeiten, im Jahr 1989, zur einzigen Staatssprache erhoben. Anders als Putin behauptet, ist aber das Russische durch mehrere Gesetze geschützt, sogar durch die Verfassung des Landes. Von einer Unterdrückung des Russischen kann keine Rede sein. Ich selbst spreche mit Ukrainern und Ukrainerinnen nur Ukrainisch. Meine Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen verwenden manchmal lieber das Russische und wir führen bereichernde Gespräche in zwei Sprachen. Viele Russischsprachige aber wechseln seit Jahren, und jetzt umso mehr, ihre Umgangssprache ins Ukrainische. Das funktioniert, wenn man sich Mühe gibt.

Wie ist im Gegensatz dazu die Lage der Ukrainisch sprechenden Bevölkerung in Russland?

Die Situation der Ukrainisch Sprechenden in sämtlichen von Russland kontrollierten Gebieten ist tragisch. Ukrainisch stellt dort die zweitgrößte Minderheitssprache dar und wird faktisch verboten. Wie schnell Russland die ukrainische Sprache abtötet, konnte man auch auf der Krym sowie in den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk beobachten. Es ist eine Schande, wie sich die westlichen Medien angesichts dieser verbrecherischen Sprachenpolitik Putins und seiner Leute jahrelang schweigend zurückhielten. Sogar noch im Sommer 2014 haben die hohen Repräsentanten und Repräsentantinnen Österreichs Putin noch mit stehenden Ovationen bedacht. An diesem Tag stand ich in der Menge der ukrainischen Demonstrierenden und schämte mich für mein Heimatland.

Was hat sich seitdem auf sprachlicher Ebene geändert?

Im Westen hört man jetzt endlich auf, von der Notwendigkeit zum Dialog zu faseln, und nennt Putin einen Lügner und den Krieg nicht mehr einen Konflikt, sondern Krieg. Auch unsere Sprache wird deutlicher und damit stärker. Sprache ist eine mächtige Waffe, wenn sie davon geprägt ist, Gutes zu wollen und die Wahrheit zu verbreiten. Denn Lügen haben kurze Beine. Und man sagt ja auch, Putin sei nicht von besonders hohem Wuchs.