Hört man RTL und Passion in einem Atemzug, dann denkt man an die Aussprache "Päschn" und somit eher an glühende Blicke aus den Augen eines "Willst du diese Rose"-Bachelors. Und nicht sofort an die Leidensgeschichte von Jesus Christus. Ein sogenanntes TV-Event hat das am Mittwochabend auf, nun ja, sehr spezielle Weise geändert. Schon 2020 war die Live-Produktion, in der Jerusalem im Ruhrpott liegt, geplant gewesen, da hatte ein Virus Erbarmen und verhinderte, dass RTL eine "moderne Version" der Geschichte von Jesu Verrat, Verurteilung und Kreuzigung in den Hauptabend hievte, wo sonst Bauern Frauen suchen.

Wenn sich ein deutscher Privatsender dieser biblischen Erzählung annimmt, was ist da zu erwarten? Kommt Richterin Barbara Salesch und wäscht ihre Hände in Unschuld? Sagt Dieter Bohlen zu Judas "Du bist wie eine Wolke. Wenn du dich verziehst, könnte es noch ein schöner Tag werden"? Macht Jesus im Garten von Gethsemane "Alarm für Cobra 11", um die schlafenden Jünger zu wecken? Hat Günter Jauch noch einen Telefonjoker für den am Kreuz hängenden Christus? Und heißt es vor jeder Werbepause: "Gleich wird Jesus noch ausgepeitscht - bleiben Sie dran!"

Schlemmermeile nach Golgota

Es war natürlich viel seriöser. Thomas Gottschalk war nämlich als Erzähler engagiert und er sagte kein einziges Mal: "Dieser Mann wettet, dass er drei Tage nach seinem Tod auferstehen kann!" Das Konzept ähnelte einem Stationendrama: Gottschalk stand auf einer strahlenden Bühne oder auch ausrangiertem "Germany’s Next Topmodel"-Laufsteg am Essener Burgplatz, an verschiedenen anderen Orten spielten Jesus und seine Jünger die bekannten Szenen nach. Andernorts wurde ein riesiges leuchtendes Kreuz durch die Straßen getragen - quasi Außenwette mit Direktschaltung. Der Weg nach Golgota führt über die Rüttenscheider Schlemmermeile - und er wird kein leichter sein. Denn die Bibelepisoden bekamen jeweils einen Soundtrack aus deutschsprachigen Pop- und Schlagerhits - zum Beispiel Udo Jürgens im Rhythmusmessen-Arrangement. Schon bei der Allzweckhymne "Ein Hoch auf uns" zu Beginn demonstrierte Alexander Klaws, dass er seinen Jesus mehr im "Gute Zeiten, schlechte Zeiten"-Stil anlegt. Immer so in betroffener Zeitlupe schauen, falls ein dramatischer Moment "Tada!" um die Ecke kommt. Klaws‘ Charisma wurde allein vom Brot, das er beim letzten Abendmahl teilt, um Längen übertroffen. Die Jünger waren besetzt mit RTL-Prominenz - vom Prince Charming bis zum Dschungelkönig, aber auch Trompeter Stefan Mross war dabei. Vielleicht lag es daran, dass alles wirkte wie eine verfilmte "Bravo"-Lovestory mit Unhappy End.

"Die Hinrichtung steht unmittelbar bevor! Bleiben Sie dran!" Vor einer Kreuzigungsdarstellung schreckte RTL zurück, Henning Baum (als Nadelstreifrömer Pontius Pilatus) meinte, "Game of Thrones"-Fans wüssten ohnehin wie Grausamkeit aussieht. Der Tod war dann eine Lasershow.

Es gab aber auch Szenen, in denen sich jene Autoren durchgesetzt haben, die auf freiwillige statt unfreiwillige Komik setzen: Im Polizeiauto wartete auf Jesus schon einer der berühmtesten TV-Häftlinge, Katy Karrenbauers sonorstimmiger "Walter" aus "Hinter Gittern". Wenn man das konsequent weiterzieht, wäre auch ein Sequel vorstellbar. Beziehungsweise ein Prequel: Tutti-Frutti-Engel verkünden eine große Freude! Sonja Zietlow und Daniel Hartwich moderieren live aus der Krippe in Bethlehem, einer von den drei Heiligen Königen muss zur Ekelprüfung, wer wird es heute sein? Bleiben Sie dran, wenn es heißt: Ich bin ein Messias, holen Sie mich hier raus.