Er galt stets als unverfilmbar. Doch dabei ging es Neil Gaiman, Schöpfer der Graphic Novel "Sandman", nie um das Ob, sondern das Wann. "Mehr als 30 Jahre lang bestand meine Rolle darin, zu versuchen, schlechte Verfilmungen zu verhindern." Nun sei man an einem Punkt angelangt, an dem Studios gewillt seien, "längerformatige Fernsehserien" zu drehen, und über die nötigen Budgets verfügen. In einem bildgewaltigen Spektakel fährt die Kamera denn auch zu Beginn durch das Reich der Träume, wo er, Dream (Tom Sturridge), über die Träume und Albträume herrscht. "Wenn die Wachwelt euch unzufrieden und belastet zurücklässt, bringt der Schlaf euch hierher, wo ihr Freiheit findet, und Abenteuer", beschwört das dunkle Timbre von Sturridges Stimme den Zuschauer. Ein Versprechen liegt in der Luft.

Seit den 80ern hat die Graphic Novel Millionen an Lesern begeistert und gilt für viele als Gaimans Meisterwerk. Wie bei "American Gods" oder "Good Omens" taucht der Brite hier in mystische und folkloristische Welten ein, verbindet diese und schafft übernatürliche Figuren, die sich weder dem Schubladenbegriff göttliche Instanz noch Superheld unterwerfen müssen.

Comic wurde Kunst

Der Erfolg der Graphic Novel entstand zu einer Zeit, in der Art Spiegels Holocaust-Comic "Maus", Frank Millers "The Dark Knight Returns" und Alan Moores "Watchmen" auf breites Interesse stießen. Die einstigen Comics aus der Schmuddelecke wurden zu gefeierten Kunstwerken. "Sandman" brachte es zwischen den Jahren 1989 bis 1996 auf 75 Ausgaben.

Ausgabe 1 und 2 dienen nun als Basis der ersten Staffel. Dream verlässt sein Reich, um einen abtrünnigen Albtraum, den Korinther (Boyd Holbrook), zu finden. Träume und Albträume gehören nicht in die Wachwelt, noch sollen sie dort Menschen bedrohen. Doch bevor er den Korinther mit sich zurückholen kann, wird er durch Magie wegtransportiert.

Der Magier Roderick Burgess (Charles Dance) wollte im Jahr 1916 eigentlich Dreams Schwester Death heraufbeschwören, damit sie ihm seinen im Krieg gefallenen Sohn zurückbringt. Doch auch in Dream sieht der gierige Mann eine Chance. Nachdem er ihm seine magischen Werkzeuge - den Sandbeutel, den Helm, sowie den Rubin - abgenommen hat, fordert er ihn auf, ihm Reichtum, Jugend und Unsterblichkeit zu schenken. Eingesperrt verbringt Dream die nächsten 100 Jahre in Burgess’ Keller. Sieht zu, wie dessen Geliebte Ethel nicht nur mit dem ungeborenen Kind verschwindet, sondern auch seinen Werkzeugen.

In der Gegenwart kann er schließlich fliehen. Sein Reich ist inzwischen verfallen, nur noch die Bibliothekarin Lucienne (Vivienne Acheampong) ist ihm geblieben. Die Menschheit wird seit Jahrzehnten von einer tückischen Schlafkrankheit heimgesucht. Für Dream ist klar, er muss seine Werkzeuge wieder zurückerlangen, sein Reich wieder aufbauen und all die entwischten Träume und Albträume wieder einfangen.

Wirkt wie illustriert

Auf die Hilfe seiner Geschwister, darunter Lucifer (Gwendoline Christie), Death (Kirby Howell-Baptiste), Desire (Mason Alexander Park) oder Despair (Donna Preston) will er zunächst verzichten. Doch allein wird er seine Macht nicht wiedererlangen können. Nicht nur im Übernatürlichem lauern Herausforderungen. Auch in der Welt der Lebenden gibt es Gegner, wie Ethels Sohn John Dee (David Thewlis), der einst Dreams Rubin an sich genommen hat, aber auch Verbündete, wie die okkulte Detektivin Johanna Constantine (Jenna Coleman).

Optisch will man es dabei den eingesessenen Fans recht machen. Die Kamerawinkel, Lichtkomposition sowie die Farbgestaltung wirken nah an der Vorlage, oft wie von Hand illustriert. Der Serie gelingt es, die Traumwelten mit dichter Stimmung aufzuladen, anstatt rein auf optische Effekte zu setzen. Auch an den Dialogen wurde wenig geschraubt. Die offensichtlichsten Änderungen sind der Wechsel von Lucifer, Lucienne und Constantine zu weiblichen Rollen und das diverse Casting der primär weißen Figuren der Vorlage. Getragen wird die Serie insbesondere von Tom Sturridge. Mit seinem panhaften Goth-Aussehen gelingt es ihm, die Allüren von Macht und Kontrolle, und die Erkenntnis, dass sich die Welt verändert hat, einzufangen. Warum er keine Loyalität zu seinem Schöpfer habe, wird der Korinther gefragt. "Warum sollte ich, er hat auch keine Loyalität gegenüber uns." Ebenso konfrontiert ihn Johanna mit der unbequemen Wahrheit. "Dir ist nur dein Sand wichtig, deine Macht. Wer braucht so was wie dich."

Hier schließt sich auch der Kreis zu Gaiman. Der kommentierte die Reihe, die in späteren Ausgaben auch Figuren wie William Shakespeare einschloss, oder sich vermehrt auf Nebenfiguren zu konzentrieren begann, einst so: "Der Herr der Träume muss erkennen, dass man sich ändern oder sterben muss, und trifft seine Entscheidung."