Erst bekommt die Ratte im Tunnel ein Stückchen Käse. Der steckt an einem Zahnstocher mit kleiner DDR-Flagge. Mit diesem netten Gag verortet sich die neue Netflix-Serie gleich einmal solide im Arbeiter- und Bauernstaat. Nach diesem Nager-Amuse-Gueule zieht sich eine junge Frau mit guter Laune und sehr kurzen Stirnfransen um und macht sich an ihre Arbeit. Dass diese eine Mordmission ist, wird sich gleich in der Toilette einer Westberliner Disco zeigen. Denn Kleo Straub gehört zur Hauptverwaltung Aufklärung, Aufgabengebiet Sonderfragen - wie es geschmeidig im Stasi-Sprech heißt. Die West-Polizei interessiert sich nicht besonders für den Toten, aber ein kleiner Beamter aus dem Betrugsdezernat hat da was mitbekommen und wittert nun seine große Ermittlerchance. Dazu kommt es aber erst einmal nicht, denn die Stasi ist sehr viel rascher. Und Kleo, gerade noch verliebt und frisch schwanger vom Kollegen, wird "deaktiviert". Sprich wird mithilfe eines Tricks des Hochverrats angeklagt und landet nach lächerlicher Gerichtsanhörung lebenslang im Gefängnis. Verdächtig erscheint dem aufmerksamen Zuschauer hier natürlich schon, dass ihr Opa, mächtiger Stasi-Capo, da so gar nichts dagegen tun kann. In der Haft ist Kleo bald Hoffnung und Ungeborenes los. Aber das "lebenslang" bezieht sich glücklicherweise eher auf die Lebenszeit der DDR und die endet zwei Jahre später. Kleo kommt frei und hat jetzt eine neue Mission. Sie will herausfinden, warum ihre vielversprechende Killer-Karriere so eine unerwartete Wendung genommen hat - und, wie das Killer so machen, dafür auch angemessen Rache nehmen.
Zu bunt für die echte DDR
Die deutsche Serie "Kleo" ist mit acht Folgen diese Woche auf Netflix gestartet. Jella Haase, bekannt sowohl aus "Fack Ju Göhte" als auch als Ensemblemitglied der Volksbühne Berlin, spielt die aufgebrachte Mörderin mit einer Mischung aus sehr viel Selbstverständlichkeit und einem kleinen Prozentsatz irrem Blick. "Kleo" ist aber kein bierernster Thriller, der aufzeigt, was passiert, wenn sich die Elitesoldaten, die man ausgebildet hat, gegen einen selbst wenden. Sondern eher eine tarantinoeske Gewaltkomödie, die ganz nebenbei die Eigenheiten der DDR persifliert - bis hin zu antiwestlichen Bezeichnungen wie "Popgymnastik", die auf gar keinen Fall "Aerobic" heißen durfte. Aber nicht nur die für die DDR viel zu bunten Tapeten machen klar, dass man hier nicht an historischer Genauigkeit klebt, auch die Einblendung zu Beginn: "Das ist eine wahre Geschichte. Nichts davon ist wirklich passiert." Aber nur mit solchen Freiheiten können auch ein Erich Mielke und eine Margot Honecker so auftreten, wie sie es hier tun.
Skurrile Nebenfiguren, wie ein Techno-Wessi mit Vorliebe für experimentelle Drogen, den Kleo in ihrer Wohnung vorfindet, und der erwähnte Polizist Sven, der sich mal schon, mal nicht auf Kleos Todesliste befindet und ganz großartig im Möchtegern-Miami-Vice-Style herumrennt (Dimitrij Schaad, derzeit auch in "Die Känguru-Verschwörung" im Kino), machen das Vergnügen rund. "Sonnenallee"-Ostalgie sucht man vergeblich, aber der Soundtrack aus DDR-Rock und Schlager ist schon sehr liebevoll zusammengestellt.