Wer bitte feiert schon ein 13-jähriges Jubiläum? Nun, das Feuilleton der "Wiener Zeitung" ist geneigt, zu sagen: "Wer, wenn nicht wir." Über runde Jubiläen mögen andere schreiben, wir schauen auf das Thema, nicht die Zahl. Neben all den wichtigen aktuellen Themen, die naturgemäß den Journalismus dieser Zeitung und dieses Feuilletons befeuern, haben wir von Beginn an auch ein Herz für das Abwegige gehabt, die Geschichte, die ihre Bedeutung erst mit ein bisschen Nachdenken freigibt. Das zeigte schon jener Artikel, der den Startschuss am 21. März 2010 markierte: eine kulturgeschichtliche Betrachtung des Frühlingsbeginns. Ein Datum mit Symbolkraft also, das einen immer verlässlichen Neubeginn verspricht.
Man spricht in der Journalismus-Ausbildung gerne von der Geschichte, "die auf der Straße liegt". Unsere Vorliebe für Geschichten, die sich mehr so im holprigen Pfad abwärts zur Gstättn verstecken, um bei dem Bild zu bleiben, fand einmal Niederschlag im Posting eines "Standard"-Lesers: Der nannte als einen der Gründe, warum er die "Wiener Zeitung" so liebe: "Das Feuilleton: Obskure Geschichten, geschrieben von Freaks".
Banal? Mitnichten!
Und das ist mitnichten ein Affront, sondern ein Kompliment. Denn es versteht, zugegeben etwas zugespitzt, was unsere Intention ist, war und gerne weiter wäre: die Geschichten zu erzählen, die man so nur in der "Wiener Zeitung" liest. Ob sie nun obskur, kurios, bizarr, skurril oder anderswie ausgefallen genannt werden - Hauptsache, mindestens einmal um die Ecke gedacht.
Manchmal sehen wir einfach bei angeblich banalen Dingen ein bisschen genauer hin. Beim Mond zum Beispiel. Oder beim Mistelzweig, der nicht nur Küsse bringt, sondern auch als Heilmittel gefragt ist. Oder beim Tutu, für die einen Traum aus Tüll, für die anderen Symbol der Doppelmoral. Ja, sogar bei Augenbrauen: Hat jeder, denkt kaum einer darüber nach. Zum Beispiel, dass sie nicht erst in den 1990ern, in denen junge Frauen reihenweise diese Form der Gesichtsbehaarung eliminiert haben, Moden unterworfen waren, sondern schon vor tausenden Jahren.
Und dann natürlich Tiere. Warum plötzlich überall Lamas als sogenannte Trendtiere da auftauchten, wo vorher die Trendtiere Einhorn sich breitgemacht hatten, das erfuhr man nur in der "Wiener Zeitung". Wir können aber nicht nur putzig, wir kennen auch den Megalodon. Und auch so quasi ein Tier ist ja Miss Piggy von den Muppets, die glamouröseste Sau der Fernsehgeschichte, die wir auf ihre feministische Tauglichkeit überprüft haben.
Sehr spezielle Biotope interessieren uns besonders, das kann der Würstelstand sein, oder auch die Tankstelle, die vor allem während der Corona-Maßnahmen mit unverhoffter Geselligkeit punktete. Manchmal gingen wir aber auch da hin, wo es wehtut, zum Beispiel zum Eistauchen. Und wenn es nur die Langeweile beim Warten ist, die schmerzt: Wie damals, als zum Stelldichein mit Pamela Anderson geladen wurde, die sich "ein bisschen" verspätete. Der "Wiener Zeitung"-Feuilletonist weiß auch daraus einen pointierten Text zu drechseln. Warten muss man übrigens auch viel, wenn man mit Geisterjägern unterwegs ist - eine Zunft, die uns nicht nur einmal beschäftigt hat.
Traditionen, die es schon so lange gibt, dass sie sonst niemanden mehr interessieren? Wir sind dabei. Wie bei der Verabschiedung von Burgschauspieler Gert Voss, - diesem perfekt inszenierten Ritus, bei dem Ehrenmitglieder einen letzten großen Auftritt in "ihrem" Burgtheater haben.
Außerirdisch? Warum nicht!
Was echte Obskuranten sind, die schrecken auch vor dem Weltall und seinen Bewohnern nicht zurück. Der Welt-Ufo-Tag ist eine Art Feiertag, Kornkreise haben immer wieder einmal Saison und wer nicht weiß, was Präastronautik ist, der hat wieder einmal nicht das Feuilleton der "Wiener Zeitung" gelesen. In der Frühgeschichte hätten Außerirdische bereits die Erde besucht und allerlei Ruinen als Beweis hinterlassen, meinen Anhänger der Theorie. Weil sich der seriös gebenden "History Channel" diesen dubiosen Hypothesen in üppiger Berichterstattung widmete, gingen wir dieser erstaunlichen Bewegung nach. Weit vor der um sich greifenden Lust an Verschwörungstheorien übrigens.
Apropos sehr viel früher als jetzt: Schon mal darüber nachgedacht, warum wir ein Bild von Dinosauriern vor uns haben, obwohl es damals noch gar keine Fotos gab? Das können Paläo-Künstler erklären - und es hat gar nichts mit "Jurassic Park" zu tun.
Immer wieder haben wir auch Spezialitäten der deutschen Sprache nachgespürt. Oder der österreichischen Sprache. Etwa mit einem Essay über den Siegeszug des Wortes "Oida". Oder einer Betrachtung der schwierigen Situation des Kommas (treffender Titel "Der Beistrich der fehlt"). Oder einer launigen Recherche über Menschen, die sprechende Nachnamen à la Johann Nestroy tragen, geschrieben von einem, der es wissen muss. Er heißt Irrgeher. Und wir haben uns die Frage gestellt, warum es so vielen schwerfällt, überhaupt etwas zu sagen.
Details? Her damit!
Manchmal haben sich Themen, die auf den ersten Blick eher nach kleinem Zielpublikum klangen, zu verblüffend vielschichtigen Erörterungen entwickelt. Wie jener Artikel über das deutschsprachige Theater in Prag und Budapest in den Zwischenkriegsjahren - eine Geschichte voll Intrigen, Verrat und verletztem Stolz. Oder das doch sehr spezifische Interview mit dem inzwischen verstorbenen US-Millionär und Dirigenten Gilbert Kaplan über die Passage mit der Studienziffer 30 im Schlusssatz der Zweiten Symphonie von Gustav Mahler.
Wir haben uns gefragt, ob man Partnersuche mathematisch vorausberechnen kann - jein -, ob jeder Farben wie der andere sieht - nein -, ob die Farbe Orange nach Donald Trump noch eine Existenzberechtigung hat - ja.
Manchmal gingen wir auch den einen Schritt weiter, Satire darf das. Wie damals, als wir Pop-Songs politisch korrekt umtexteten. Oder sinnierten, dass Elvis nun auch schon 40 Jahre gar nicht tot ist.
Obskur? Vielleicht. Aber: Nur in der "Wiener Zeitung".