Die Redaktion meldete sich bei mir. Ob ich nicht etwas zum 13-jährigen Bestehen des Feuilletons beisteuern könne. Etwas Lustiges, wenn ginge. Aufheiterndes. Ich sagte leichtfertig zu und fragte, worum es sich bei meinem Text drehen solle.
Die Redaktion war perplex. In den elf Jahren unserer Zusammenarbeit erkundigte ich mich tatsächlich erstmals nach ihren Wünschen. Nach einer Schrecksekunde von mehreren Augenblicken, die sich in weiterer Folge zu einigen Minuten mit angehängtem Nachmittag verbanden, ließ sich die Redaktion schließlich diese historische Gelegenheit naturgemäß nicht entgehen und antwortete spontan am übernächsten Tag, das perfekte Thema wäre: "Warum hat die Wiener Zeitung das beste Feuilleton des Landes?"
Da war ich wiederum perplex, denn ich wusste es nicht. Und ich weiß es auch immer noch nicht, wo ich jetzt gerade den Text verfasse. Ich weiß nur: Es ist so. Und ich glaube, es liegt am Geschmack.
Der Umweg
Jeden Freitagmorgen bringe ich meine auf Pergament gekritzelten Texte in die Redaktion, mit meiner Droschke aus geschnitzten Diamanten vom Uranus, die von vier fliegenden Cyborgs gezogen wird, welche die Strecke von der Osterinsel nach Wien in 40 Minuten schaffen. Ohne den Umweg über Santiago de Chile wohlgemerkt! Der ist aber notwendig. Nicht wegen meines Textes, nein, den könnte ich mit einer meiner gentechnisch veränderten Tontauben schicken, die aus dreimal destilliertem Licht bestehen und auf 1.000 Kilometer nicht einmal drei Klingeltöne verbrauchen. Nein, es liegt am Geschmack des Feuilletons der "Wiener Zeitung".
Denn kaum landet meine Flugdroschke keine Stunde später auf dem Dach des Redaktionsgebäudes, kaum entsteige ich dem in der vormittäglichen Sonne glitzernden Fluggerät, kaum sind die üblichen Begrüßungsformeln gesprochen ("Wir grüßen Dich, Herr des Schmähtandlertums, der uns hinwegnimmt die Rechtschreibregeln der Welt!" - "Servas."), schon greifen die Hände ineinander, und es geht wieder los.
Und dann schildern mir die Damen und Herren des Feuilletons in wohlgesetzten Worten, feinsten Analysen, da und dort mit gewitzten Spitzen versetzten Gedächtnisprotokollen das Neueste aus dem brodelnden Hexenkessel des Kulturlebens dieser vor Geistes- und Schöpfungskraft explodierenden Metropole. Also erfahre ich, wer was gegen wen wann wo gestern gesagt hat - oder gesagt haben soll. Wobei keiner dabei war, und die Hackln so tief gflogen sind, dass man nichts gesehen hat, und auf Twitter hats auch noch keiner geschrieben. Nur der Dings hats gsagt. Oder wars die Dingin?
Und dann bin ich an der Reihe. Und ich muss schnell sein. Denn sonst entspinnt sich womöglich ein Gespräch. Mit kulturellem Inhalt. Und da kann es einem schon passieren, daß (oder dass?) in dieser Redaktion plötzlich fähige Geister niveauvoll und fachkundig über Theater, Musik, bildende Kunst, Literatur, Neue Medien oder etwas anderes Musisch-Interessantes - jedoch für die Wertschöpfungskette völlig Unerhebliches - ahnungsvoll parlieren. Vielleicht sich sogar darüber austauschen.
Eine Flasche mehr
Das kann ich als geborener Charlatan de Chimaire, Freiherr von Sotunalsob, Baron von Plappermaul bei Flachwitz nicht so stehen lassen, und daher präsentiere geschwind mein wöchentliches Präsent.
Und damit ist nicht der immens witzige, aber auch hintergründige, mit einem Hauch Melancholie und Weltentragik gewürzte Text gemeint, der Woche für Woche mir aus der Feder rinnt (so ein Zeug schreib ich ja auch nicht) - nein, es geht um die Kiste chilenischen Weins aus Santiago de Chile, den ich Woche für Woche anschleppen muss.
Eine ganze Kiste voll. Und stets eine Flasche mehr, als Personen in der Redaktion sind. Da jenes unglückliche Wesen, das meinen Text vom Pergament abtippen muss, zwei Flaschen bekommt.
Ja, man kann sagen, diese Feuilleton-Redaktion, die weiß, was gut ist, die hat Geschmack. Ist wahrscheinlich die beste des Landes.
Ganz ehrlich: Würde ich sonst Woche für Woche herfliegen?