Es waren keine leichten Jahre für die Farbe Beige. Zeitweise standen nur mehr Seniorinnen und Senioren auf ihrer Seite, allesamt in beigen Kordhosen oder beigen Steppjacken. Manchmal fand sich noch ein bestickter beiger Kissenbezug, mit etwas Glück ein paar beige Halbschuhe. Und der Trenchcoat; auf den Trenchcoat konnte sich Beige immer verlassen. Beige war nie die Farbe, die sich groß inszeniert. Kein Partymittelpunkt, sondern eine unscheinbare, verlässliche Konstante. Der sichere Hafen für all jene, die sich vor Farben fürchten, die zu faul für Weiß und zu feig für Schwarz waren. Wahrscheinlich wundert man sich deshalb so über ihren Imagewandel. Beige ist wieder da, ein absoluter Trend. Und so einflussreich wie nie.
Beige Offensive
Beobachten kann man das auf Social Media. Wenn die Userin @purpurdaria auf der Videoplattform TikTok das Zimmer ihres Kindes herzeigt, ist alles beige. Die Wand, der Teppich, die große Stoffgiraffe. Sogar die Fahnen, die sie über das Kinderbett gespannt hat. Eine beige Ästhetik nennt sie das, "sad beige baby", ein trauriges, beiges Baby, sagen andere. Fast eine Million Aufrufe hat das Video mittlerweile schon.
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Es ist nicht das einzige mit beigem Baby, die findet man fast überall. Erdtöne, neutrale und cremige Farben dominieren bei Stramplern, Bauklötzen und Bällebädern. Und nicht nur dort. Auch die "Vanilla Girls" haben Beige für sich entdeckt. Über 950 Millionen Mal wurde das Online-Phänomen für Mädchen und Frauen allein auf TikTok geklickt. "Vanilla Girls" tragen kein Make-up oder anders, sie tragen Make-up, das aussieht, als würden sie kein Make-up tragen. Sie kleiden sich hauptsächlich in Beige oder Cremefarben, verwenden flauschige und weiche Stoffe, am besten von Marken wie Chanel oder Zara. Sie riechen nach Vanille, sind meistens blond, fast immer dünn und weiß. "Vanilla Girls" trinken geeisten Karamell-Latte, dekorieren ihr Zuhause minimalistisch, natürlich in Beige, mit dicken Teppichen, Duftkerzen und opulenten Vasen voller Trockenblumen. "Vanilla Girls" verkulten eine neue Form der Reinheit, der weiblichen Häuslichkeit, der luxuriösen Sparsamkeit. Die Farbe Beige ist da nicht zufällig gewählt. Aber von Anfang an.
Zuerst muss man sich fragen, warum ausgerechnet Beige? Schließlich haben sich die Millennials und die Generation Z diese Farbe ganz von allein ausgesucht und anschließend in Sachen Prestige umgemodelt. Klar wurde das spätestens 2019, als Kim Kardashian die Modezeitschrift "Vogue" durch ihre riesige, beige Villa führt. Überall nur Nude-Töne, belastend viel Leerraum und eine aggressiv zurückhaltende Einrichtung. Beige hat es geschafft, das zu kanalisieren, was früher und besonders im Internet als absolutes Tabu galt: Unscheinbarkeit. Und Unscheinbarkeit lässt sich heute, wohl oder übel, mit einer gewissen Ruhe gleichsetzen. Gerade online, wo Reize dauerhaft und erbarmungslos auf einen hereinbrechen - laut, bunt, schnell -, wirkt eine beige Welt, die sich an bestickte Oma-Kissen anbiedert, fast schon romantisch entlastend. Eine Flucht in den Gegensatz. Beige ist nicht mehr nur eine Farbe, es ist eine Geisteshaltung, ein Lebensstil und ein Statement.
Beige Arroganz
Aber was wollen uns die traurigen beigen Kinder mit ihren traurigen beigen Stofftieren nun eigentlich sagen? Oder die beigen "Vanilla Girls", wenn sie ihre floralen Toilettenbeutel in die Kamera halten? Wie so oft geht es um Abgrenzung. Und irgendwie auch ums Angeben, um den Konsum. Da Beige zum Ruhepol umfunktioniert wurde, agiert es nun unmittelbar als Metapher, die einem sagen soll: Ich bin anders als die anderen, ich mag Ruhe und kann sie mir leisten. Salopp zusammengefasst: Farben sind trashig, Unauffälligkeit damit das neue Auffallen und dadurch zwangsweise luxuriös.
Es geht also, wie so oft, nur ums Geld. Und wollten die Eltern mit ihren beigen Kindern und die "Vanilla Girls" mit ihren beigen Pullovern ursprünglich eine gewisse Losgelöstheit von Schnelllebigkeit und Überfluss darstellen, zeigen sie jetzt eigentlich, wie sehr sie in dieser Welt gefangen sind. Ein kleiner beiger Albtraum, in dem der Wunsch nach weniger Selbstdarstellung und Ruhe zu mehr Selbstdarstellung führt.
Beige Gleichschaltung
Dazu kommt, dass mittlerweile das ganze Sein, unabhängig ob im Internet oder in der greifbaren Realität, einer gewissen Ästhetik untergeordnet wird. Und diese Ästhetik beschreibt nicht nur wie Wohnung oder Kleidungstil auszusehen haben, sondern auch, wie man sich gibt, was man isst und wer man sein möchte. Das "Vanilla Girl" verkörpert beispielsweise eine gewisse Ästhetik. Es verschreibt sein Dasein eben der Farbe Beige und der, zugegeben weitgefassten, Charaktereigenschaft "soft sein".
Und auch ein trauriges beiges Baby ist eine Ästhetik. Beziehungsweise passt es in eine, nämlich in die der Eltern. Stellen Sie sich vor, über Jahre haben Sie in ihrer Altbauwohnung mühsam Möbel im Boho-Chic angehäuft, und nun drohen neonpinke Glücksbärchi-Stofftiere und blinkende Beißringe die atmosphärische Komposition von beigen Ethno-Wandteppichen und Muschel-Pendelleuchten zu zerstören. Das beige Baby mitsamt seinen beigen Krabbeldecken und Wickelunterlagen schafft hier Abhilfe, sogar ohne dabei schädlich zu sein, das sagte zumindest eine Psychotherapiewissenschafterin dem "Kurier". Zusätzlich kann man zeigen: Wir genehmigen uns hier den Luxus der Ruhe; wir sind keine Selbstdarsteller, keine Konsumopfer, die sich in bunte, überfüllte Spielräume drücken lassen; wir haben uns nicht ein Kinderzimmer für das Baby besorgt, sondern ein Baby für das Kinderzimmer. Die Ironie an der Geschichte: Man ist es eben doch, das selbstdarstellerische Konsumopfer, geboren aus der reinen Furcht, eines zu werden. In der absoluten Abgrenzung entsteht oft absolute Gleichheit. Und die ist in diesem Fall noch spießiger als jene, von der man sich eigentlich so unbedingt entfernen wollte.
Ob der Farbe Beige dieser Imagewandel so recht ist, lässt sich nur erahnen. Vom absoluten Boomer-Liebling direkt in die Arme der Generation Z geworfen zu werden, ist allerdings ein Kunststück, das noch nicht sonderlich viele gemeistert haben. Dazu kommen fortan ganze Jahrgänge von Kleinkindern in beigen Kurzarm-Bodies, bis jetzt konnten das ausschließlich die Farben Babyblau und Hellrosa vorweisen. Aber wie heißt es so schön, mit dem Erfolg kommt der Neid. Und es wird schon ordentlich am Ast des beigen Zeitgeists gesägt. Denn wer mit Abgrenzung groß wird, läuft Gefahr, selbst zum Subjekt der Abgrenzung zu mutieren. Die Neonfarben stehen schon hungrig in den Startlöchern. Derweil tragen Babys beige.