Frankfurt/Wien. Nicht nur an der Supermarktkassa spürt man die Inflation, sondern inflationär sind auch die politischen TV-Diskussionen. Im deutschen Fernsehen noch mehr als im österreichischen. Das steigert nicht gerade die Qualität, wie die deutsche Studie ". . . und unseren täglichen Talk gib uns heute!" der Otto-Brenner-Stiftung in Frankfurt/Main ergeben hat.

Verantwortliche aus der Wirtschaft würden eher selten in Talkshows gehen, Politiker als früher dominante Gästegruppe seien abgelöst worden von - völlig überrepräsentierten - Medienleuten.

"Nimm das Naheliegende", laute das Credo der Redaktionen bei der Rekrutierung ihrer Gäste, schon das verzerre die tatsächlichen gesellschaftlichen Debatten. "Die Wiederholungsquote bei der Gästeschar ist auch deswegen so hoch, weil das Fernsehen sich immer sehr stark auf sich selbst rückbezieht", schreibt Bernd Gäbler, der Autor der 154-seitigen Studie, in seiner Analyse.

Der deutsche Journalist und Medienkritiker Gäbler war Geschäftsführer des renommierten Adolf-Grimme-Instituts in Nordrhein-Westfalen, das sich seit knapp 40 Jahren mit Medienkultur befasst. Er hat in seiner Untersuchung im Vorjahr die Inszenierungsstrategien, redaktionellen Dramaturgien und die Rolle der TV-Polit-Talkshows ein Vierteljahr lang unter die Lupe genommen.

"Die Verbindlichkeit schwindet. Die Beliebigkeit wächst. Obwohl sich alle einzelnen Sendungen anstrengen werden, dem Zuschauer zu gefallen", so Gäblers Fazit. Doch am Ende könnten sich die Zuschauer selbst entwertet fühlen. Wozu gibt es dann überhaupt noch politische Diskussionssendungen? "Um dem menschlichen Grundbedürfnis Genüge zu tun, sich auszutauschen, an der Argumentation anderer teilzuhaben, anderen dabei zuzusehen, wie sie interagieren, und vor allem teilzuhaben an der Selbstverständigung einer Gesellschaft über sich selbst", erklärt Bernd Gäbler gegenüber der "Wiener Zeitung".

"Die Talkshows helfen, die Welt in klar abgeteilte Themengruppen und Segmente einzuteilen, sie so übersichtlicher zu machen und die Meinungslager zu sortieren. Sie sind ein Instrument der Popularisierung von Politik", erklärt der Marktforscher in seiner Analyse.

Doch die Bedeutung der Talkshows für die politische Meinungsbildung werde überschätzt, im Fernsehen spiele sie als Instrument der Politikvermittlung eine zu große Rolle. Das TV-Format zwinge die Macher dazu, das menschliche Gespräch, den Austausch von Gedanken und Ideen immer wieder zu reduzieren auf die Vorführung eines Rollenspiels mit festgefügten Charakteren. Die Form dominiere den Inhalt: Vor allem die unterhaltsame Inszenierung von Konfrontation und Konsens bestimme die Politikdarstellung.

"Talkshows müssten spontaner sein"

Einen generellen Niveauverlust kann Gäbler übrigens nicht feststellen. "So sehr unterscheiden sich das TV-Programm und der Kiosk nicht voneinander." Ob privater oder öffentlich-rechtlicher Sender, jeder sei für sein eigenes Programmangebot verantwortlich.

Was sich jedoch ändern müsste, ist: "Die Talkshows müssten spontaner sein, weniger ritualisiert und im Ablauf feststehend. Die Redaktionen müssten nicht nur die immer gleichen Gäste einladen, die aus dem Fernsehen bereits bekannt sind, sondern ein waches Sensorium für tatsächliche gesellschaftliche Tiefenströmungen entwickeln", stellt Gäbler fest.

Polit-Talk "Meet the press" als Vorbild

Ein internationales "best practice"-Beispiel für hohe Qualität einer TV-Talkshow ist aus Sicht des Experten die amerikanische Polittalksendung "Meet the press". Sie wird seit 65 Jahren jeden Sonntagmorgen vom Fernsehsender NBC ausgestrahlt - und ist somit die am längsten laufende Sendung in der Geschichte des Fernsehens. Politiker oder andere Personen des öffentlichen Interesses stellen sich den Fragen einer wechselnden Runde von Journalisten. "Meet the press" würden im deutschen Fernsehen viele gerne machen", glaubt Gäbler, "aber keiner bekommt es in ähnlicher Relevanz hin".