Die Wiener Dichterin Elfriede Gerstl (16. Juni 1932 - 9. April 2009) zählt zu den Größen der österreichischen Literatur nach 1945. Gerstl verfasste Gedichte, Essays und kurze Prosastücke und war im Rahmen der "Wiener Gruppe" aktiv. Besonders dem Thema der Geschlechterrollen hat sich die engagierte Feministin verschrieben. "Ihre schwerelosen, wunderbar leichten Gedichte haben mir immer wieder gezeigt, dass das Leichte für mich, für viele, zu schwer ist. Und das bei diesem Schicksal", so Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die Gerstl als "eine meiner ältesten Freundinnen" bezeichnete. Am 16. Juni wäre Elfriede Gerstl 80 Jahre alt geworden. Radio Ö1 nimmt dies als Anlass für einen Programmschwerpunkt.
Traumatische Kindheit
Von 11. bis 16. Juni widmen sich die "Gedanken für den Tag" (6.56 Uhr) unter dem Titel "Manche kommen aus dem Staunen nicht heraus, manche nie hinein" eben diesem Zitat Gerstls. Ferner beschäftigt sich Gestalterin Alexandra Mantler-Felnhofer mit Gerstls traumatischer Kindheit: Am 16. Juni 1932 als Tochter eines jüdischen Zahnarztes in Wien geboren, überlebte sie den Nationalsozialismus in diversen Verstecken. Mit ihrer Mutter tauchte sie vor den Nazis unter und stellte sich "tot oder schon deportiert". Im Kohlenkeller lernte sie lesen, erst im Alter von 13 Jahren besuchte sie eine Schule. Nach 1945 studierte sie zunächst Medizin und Psychologie, brach 1960 aber ihr Studium ab, heiratete und brachte eine Tochter zur Welt.
In den 60er Jahren ging sie - "weil es mir unmöglich war eine Gemeindewohnung zu bekommen" - als Stipendiatin von Wien nach Berlin, damals Fluchtpunkt vieler österreichischer Literaten. Dort entstand unter anderem der Gemeinschaftsroman "Das Gästehaus" (1965, mit etwa Hubert Fichte und Peter Bichsel). Die (Schein-)Kommunikation der Berliner und Wiener Subkultur verarbeitete sie später in ihrem Montageroman "Spielräume" (1977). 1973 brachte sie unter dem Titel "Berechtigte Fragen" einen Hörspielband heraus, "Vor der Ankunft" heißt ein 1986 erschienener Lyrikband, "Unter einem Hut" (1993) versammelt Gedichte und Essays und das Jugendbuch "die fliegende frieda" (1998) "sechsundzwanzig geschichten" zu Illustrationen von Angelika Kaufmann. 1999 kam der Lyrikband "Alle Tage Gedichte" heraus, 2001 erschien die "Neue Wiener Mischung. Gedichte und anderes". Sie galt als streitbare Dichterin, daran erinnern auch die Ö1-"Tonspuren" (11. Juni, 21 Uhr).
Zu ihrem 80. Geburtstag erscheint ferner eine Werkausgabe (Droschl Verlag): Der erste Band der Gesamtausgabe enthält die Texte ihrer ersten Buchpublikationen unter dem Titel "Mittellange Minis. Werke 1962-1977".