London. (rs) Es ist ein Bild, das sich durchaus hartnäckig hält. Noch immer assoziieren viele Briten den Geheimdienst GCHQ weniger mit Cyber-Kriegern und weltweiten Internet-Schnüffelprogrammen als mit jenen Männern in Tweed-Sakkos, die im Zweiten Weltkrieg die "Enigma"-Chiffriermaschine der Nazis knackten. Für dieses Bild des treusorgenden Geheimdienstes, der mit patriotischem Engagement die nationalen Interessen schützt, spricht auch, dass es in Fragen der Sicherheitspolitik in vielen Fällen nur verhaltene Kritik an der Regierung gibt. Wenn es um den Schutz des Vaterlandes geht, stehen alle in Großbritannien zumeist schnell zusammen.

"Guardian"-Chefredakteur Alan Rusbridger musste sich vor dem Unterhaus verteidigen. - © reu
"Guardian"-Chefredakteur Alan Rusbridger musste sich vor dem Unterhaus verteidigen. - © reu

Was es bedeutet, aus dieser nationalen Waffenbrüderschaft, die die britische Regierung auch von den Medien erwartet, auszuscheren, musste nun einmal mehr der "Guardian" erfahren. Laut Cressida Dick, die bei der Londoner Polizei die Specialist Operation Unit leitet, steht den Journalisten der linksliberalen Tageszeitung im Zusammenhang mit den Geheimdienst-Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden eine Untersuchung bevor, bei der es im weitesten Sinne um Beihilfe zum Terrorismus geht. Bereits vor einem Monat hatten die Chefs der drei britischen Geheimdienste erklärt, der "Guardian" helfe mit seinen Berichten über die weltweiten Spähaktivitäten des GCHQ und seines US-Pendants NSA in Wahrheit nur der Al-Kaida.

Als Vehikel für die nun bevorstehende Untersuchung soll der Paragraf 58 des Anti-Terrorgesetzes dienen, laut dem jede Veröffentlichung über Mitglieder der Streitkräfte oder der Geheimdienste als kriminelles Delikt gewertet wird. Konkret geht es unter anderem um Material, das britische Agenten bei David Miranda, dem Lebensgefährten des Snowden-Vertrauten Glenn Greenwald gefunden hatten. Miranda war im Sommer ohne Angaben von Gründen stundenlang am Flughafen Heathrow festgehalten und verhört worden. Ein paar Tage zuvor waren Geheimdienstmitarbeiter in die "Guardian"-Redaktionsräume eingedrungen und hatten die Journalisten genötigt, fünf Festplatten zu zerstören, auf denen brisantes Material vermutet wurde.

Bereits wenige Stunden vor Dicks Ankündigung hatte sich "Guardian"-Chefredakteur Alan Rusbridger am Dienstag vor dem Innenausschuss des Unterhauses wegen der Veröffentlichung der Snowden-Dokumente rechtfertigen müssen. In der auf eine Stunde angesetzte Befragung, die schließlich doch knapp 90 Minuten dauerte, betonte Rusbridger mehrmals, dass der "Guardian" nicht die einzige Zeitung gewesen sei, die von Snowden Dokumente zugespielt bekommen hatte. Zudem gebe es bisher keinen einzigen Beweis dafür, dass die Veröffentlichungen die nationale Sicherheit Großbritanniens oder der USA gefährdet hätten.

Rusbridger zufolge hat der "Guardian" auch nicht die Namen jener Geheimdienstmitarbeiter veröffentlicht, die in den Snowden-Unterlagen aufscheinen. Die meisten Journalisten könnten nämlich sehr wohl zwischen dem unterscheiden, was veröffentlicht werden darf und was nicht. Von den knapp 58.000 Dokumenten, die der Zeitung zugespielt wurden, sei lediglich ein Prozent für die Berichterstattung verwendet worden.

Rusbridger nützte die Anhörung vor dem Innenausschuss allerdings auch für ein Plädoyer für die Pressefreiheit, die in Großbritannien nur über das Gewohnheitsrecht, nicht aber über die Verfassung abgesichert ist. Auf die Frage eines Ausschussmitgliedes, ob er sein Land denn liebe, antwortet der "Guardian"-Chefredakteur schlagfertig. "Wir sind Patrioten", sagte Rusbridger, "wir sind patriotisch, was die Demokratie und die Pressefreiheit angeht und die Tatsache, dass man in diesem Land über solche Dinge diskutieren und berichten darf." Und diese Dinge müssten gegenüber der nationalen Sicherheit abgewogen werden.