London. Jeder im Londoner Zeitungsgewerbe weiß, dass der "Independent" seit Jahren auf schwachen Beinen steht. Aber erst jetzt ist bekannt geworden, dass seine Besitzer ihn verkaufen wollen. Und ob ihn noch jemand kaufen will - das ist doch sehr die Frage.

Traurig wäre es jedenfalls, wenn das britische Blatt unterginge. Seit seiner Gründung 1986 hat sich der "Independent" eine wichtige Rolle unter den Insel-Medien erkämpft und erhalten. Neben dem linksliberalen "Guardian", den beiden Tory-freundlichen Blättern "Times" und "Telegraph" und der wirtschaftsnahen "Financial Times" nimmt der "Independent" als zusätzliche Stimme eine Position im Mittelfeld ein: In Wirtschaftsfragen moderat, anderswo überwiegend progressiv und gelegentlich scharf und kompromisslos - wie in seiner Antikriegs-Haltung während der Irak- und Afghanistan-Feldzüge oder in seinen Berichten aus dem Nahen Osten.

Auflage ist katastrophal

Mit klugen Berichterstattern und profilierten Kolumnisten hat der "Indy" stets seinen Platz unter den Großen behauptet. Im Design war er der Konkurrenz oft voraus. Aber nicht alle Leser haben fortwährende Originalität in Text und Form mit Treue belohnt. Die Auflage ist katastrophal zurückgegangen. Während das Blatt zu Gründungszeiten stolze 400.000 Exemplare druckte, kommt es heute nur noch auf 67.700.

Zum vollen Preis verkauft werden davon nicht einmal mehr 43.500. Damit ist auch kein Geschäft zu machen. Knapp zehn Millionen Pfund schießt der Verlag jedes Jahr zu.

Denn die Besitzer, der russische Oligarch Alexander Lebedev und sein Sohn Evgeny, sind selbst, seit sie den "Independent" vor vier Jahren übernommen haben, in Schwierigkeiten geraten. Ihre Ressourcen, die den "Indy" sichern sollten, sind geschwunden. Die Print- und Anzeigenkrise aber, die das Blatt mehr als andere erwischt hat, will nicht enden. So haben die Lebedevs den alten "Independent"-Gründer und derzeitigen Aufsichtsratschef ihres Verlags, Andreas Whittam Smith, gebeten, sich nach einem Partner oder Käufer umzusehen.

Für ein Pfund

Wahrscheinlich wären sie bereit, den "Independent" für den Preis zu verkaufen, den sie im April 2010 für ihn bezahlten - nämlich für 1 Pfund. Das Problem ist, dass sich bisher weder Käufer noch neue Teilhaber gemeldet haben. Whittam Smiths diskrete Vorstöße haben keinen Erfolg gehabt. Weder heimische Verleger noch Medienmogule von weiter weg zeigen bislang Interesse daran, eine Zeitung von derart prekärer Verfassung zu erstehen oder sich an ihr zu beteiligen.

Alarmglocken haben die Berichte dieser Woche zur Suche nach neuen Verlegern jedenfalls ausgelöst. Nun verlangt der Nationale Journalisten-Verband Garantien für die Beschäftigtenzahl und die politische Unabhängigkeit der Zeitung im Falle einer Übernahme. Medienexperten wie Thomas Caldecott von Enders Analysis sehen die Lage allerdings wesentlich skeptischer. Caldecott ist der Ansicht, dass es dem "Independent" "schwerfallen wird, weiter zu erscheinen". Auch der Londoner Journalismus-Professor Roy Greenslade "bezweifelt", dass die Zeitung überhaupt noch einen Käufer finden kann. Zur Unabhängigkeit eines toten "Indy" aber braucht sich niemand Gedanken zu machen.