Wien. Die Türkei ist einsamer Rekordhalter. Mehr als 140 Journalisten sitzen derzeit in türkischen Gefängnissen. Das sind knapp ein Drittel aller weltweit inhaftierten Medienschaffenden (mindestens 348). Die Repressionswelle seit dem Putschversuch in Ankara ist indirekt auch in Mitteleuropa zu spüren: Ende 2016 wurde der Ableger der Zeitung "Zaman" (Zeit) in Deutschland eingestellt.

Die Österreich-Ausgabe ist weiterhin online, wird aber seit August 2016 nicht mehr aktualisiert. Die unter Austrotürken beliebte Druckversion von "Zaman Österreich" wurde bereits davor eingestellt. Die Abonnentenzahl sei seit zwei Jahren stark zurückgegangen, heißt es. Dass auch Journalisten von "Zaman Österreich" bedroht wurden, politisch wie wirtschaftlich, ist naheliegend. Die Drohungen sollen sich speziell in den Sommermonaten extrem erhöht haben. "Zaman" galt immer als Flaggschiff der Gülen-Bewegung rund um den umstrittenen muslimischen Prediger Fethullah Gülen. Von den Gülenisten soll der gescheiterte Putschversuch im Juli 2016 ausgegangen sein, wird vermutet.

"Man wollte in der Türkei eine selbstbewusste säkulare, freie, moderne Bürgertum-Mittelklasse, die vorhanden war und im Wachsen war, nicht haben", erklärt der Wiener Verleger Birol Kilic im Interview mit der "Wiener Zeitung". Er ist Vorsitzender der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich (TKG), die er als "stark säkularen, verfassungspatriotischen" Thinktank charakterisiert. Die türkische Community in Österreich (300.000) ist seiner Einschätzung nach tief gespalten hinsichtlich des Erdogan-Regimes. "Die Türkei ist nicht Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Man darf hier nicht den Fehler machen zu pauschalisieren."

Im Gegenteil. "Den freiheits- und rechtsstaatsliebenden Leuten muss Mut zugesprochen werden, damit in der Türkei die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Gewaltenteilung funktionieren", appelliert Birol Kilic. Die liberale, säkulare türkische Community, egal, ob gläubig oder nicht, sei hierzulande im doppelten Sinn unter Druck, meint er. "Erstens von Kräften aus der Türkei, zweitens von Kräften aus Österreich, weil die Wörter Türke und Türkei ziemlich verantwortungslos kulturrassistisch verwendet werden. Dazu kommt noch die Islam-Debatte in allen Versionen, die durch die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreicht hat und am meisten den Austrotürken in Österreich geschadet hat und weiterhin schadet."