Nur was in Wikipedia steht, existiert. Wer sich einmal bei diesem Gedanken ertappt hat, ist mit dem gesammelten Wissen der Online-Enzyklopädie aufgewachsen. Wikipedia ist als Nachschlagewerk so einflussreich, dass es unsere Wahrnehmung der Welt formt. Von Nutzern verfasst, ist es gleichzeitig ein Spiegel der Perspektive seiner Schreiber. Geschlechtsunterschiede, genauso wie kulturelle Mehrheiten, fallen dabei ins Gewicht.
Die österreichische Autorin Marlene Streeruwitz schreibt in einem Essay über Bertha von Suttner, dass Wikipedia Geschichtsschreibung betreibe und die darin enthaltenden Einträge, an ihrem Einfluss gemessen, "Schlüsseltexte" darstellten. Sie hat beobachtet, wie unterschiedlich Leben und Werk von Frauen oder Männern dargestellt werden: Männerleben sind in einer hegemonialen Perspektive der Normalfall und über herausragende Persönlichkeiten wird anhand ihrer Taten berichtet. Besondere Frauenleben allerdings sind bereits als solche geschichtswürdig. So beklagt Streeruwitz, dass auf Wikipedia Bertha von Suttners Lebenswerk aus ihrer Biografie hervorgehe, während der Eintrag von Pablo Picasso dessen Taten in den Vordergrund stelle.
Doch Geschichtsschreibung findet nicht nur dadurch statt, wie berichtet wird, sondern auch über wen. Auch hier ist Wikipedia nicht besonders fortschrittlich: Die Walisische Wikidata ist die einzige Datensammlung mit gleich vielen Einträgen über Frauen wie Männer. Stolze 52 Prozent der Biografien dokumentieren hier die Lebensdaten von Frauen. In der deutschsprachigen Wikidata-Sammlung dagegen sind es 15 Prozent, in der Englischen sind von eineinhalb Millionen Einträgen 17 Prozent weibliche Biografien. Um dies zu ändern, lud Claudia Garád von Wikimedia Österreich zusammen mit der Journalistin und Bloggerin Barbara Wimmer zum ersten Wikipedia-Editier-Marathon in Österreich.
Geschichte neu schreiben
Beim Elevate-Festival sollte, im Rahmen des internationalen Projektes "Art+Feminism", der Tatsache entgegengearbeitet werden, dass bestimmte Gruppen auf Wikipedia unterrepräsentiert sind, indem Artikel über Künstlerinnen angelegt werden. Zehn Frauen waren dazu am Wochenende ins Grazer Zentrum für zeitgenössische Kunst "rotor" gekommen. Dort erzählt Garád, für sie bedeute, den Wikipedia-Eintrag über jemanden zu verfassen oder deren Lebensdaten auf Wikidata anzulegen, die Möglichkeit, der Person ein "digitales Denkmal" zu setzen.