Stellen Sie sich vor, Sie überfahren mit dem Fahrrad eine rote Ampel. Plötzlich poppt ihr Gesicht auf einer Riesenleinwand am Straßenrand auf, auf der zu lesen ist: "Verkehrssünder werden mit Gesichtserkennung aufgenommen." Was wie eine Dystopie aus Gary Shteyngarts Roman "Super Sad True Love Story" klingt, wo auf den Straßen Cholesterinspiegel, Kreditwürdigkeit und Lebenserwartung der Passanten auf einem Display angezeigt werden, ist in China Realität. Dort werden in zahlreichen Städten wie Fuzhou Gesichtserkennungssysteme installiert, um Verkehrsteilnehmer zu disziplinieren und Kriminelle zu identifizieren. Wie die Seite "China Technology News" berichtet, werden die Verkehrssünder auf einem Bildschirm unter den Augen aller an den Pranger gestellt, ihre Namen in regionalen Zeitungen veröffentlicht. Wer zu schnell fährt oder bei Rot über eine Ampel fährt, wird öffentlich gebrandmarkt. Mittelalterliche Methoden paaren sich mit moderner Informationstechnologie.
Digitales Führungszeugnis
Das chinesische Regime greift zur Überwachung immer stärker auf Gesichtserkennungssysteme zurück. Während des G20-Gipfels 2016 in Hangzhou scannten Überwachungskameras die Gesichter von Fußgängern und glichen diese mithilfe eines Algorithmus mit einer Liste von Terrorverdächtigen ab. Das System schlug in einem Monat 60 Mal Alarm. Ob zu Recht oder Unrecht, ist unklar. Unter Datenschützern sind die Systeme umstritten, weil sie nicht verlässlich genug arbeiten und Dritte Zugriffe auf die biometrischen Datenbanken bekommen können. Die US-Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union bemängelt, dass schon eine neue Frisur, Alterung oder eine Veränderung des Gewichts die Software vor Schwierigkeiten stellen können.
Doch das ficht die chinesische Staatsführung nicht an. Sie will bis 2020 ein verpflichtendes Bewertungssystem einführen, bei dem jeder Bürger einen "Score" von 350 bis 950 erhält. Digitale Kopfnoten wie in einem Führungszeugnis. Der Wert berechnet sich nach der Kreditwürdigkeit, der politischen Meinung und Social-Media-Aktivitäten. Das Social Credit System (SCS), wie das Reputationssystem offiziell heißt, verknüpft Daten von Banken, E-Commerce-Seiten und sozialen Netzwerken wie Weibo. Wohin man geht, was man kauft, wie viel Strafpunkte man auf dem Führerschein hat - all das wird registriert und an die Identifikationsnummer gekoppelt. Videoüberwachung ist ein zentraler Knotenpunkt in diesem Überwachungsnetz. Sie ist in China Alltag - auch, weil sie in den Konsum eingewoben ist.