"Liebe Fidesz-Landesväter, liebe Kulturprominente, werdet ihr danach immer noch in unsere Theater kommen? Das wird doch verdammt langweilig und verlogen! Ihr wisst doch, dass das Theater entweder oppositionell und kritisch ist, oder gar nicht existiert." Mit diesen Worten begeisterte Ungarns Star-Theatermacher Béla Pintér jüngst tausende Demonstranten in Budapest, die gegen die Gängelung der staatlich geförderten Theater auf die Straße gegangen waren. Mehr als 50.000 Menschen hatten eine Online-Petition gegen das Gesetz unterzeichnet. "Seid ihr nicht die Mörder der ungarischen Kultur?", schloss Pintér bei strömendem Regen seine Rede. Pintér vereint als Schauspieler, Regisseur, Autor und Betreiber eines Privattheaters die Dimensionen eines modernen ungarischen Molière. Seine Vorstellungen sind stets ausverkauft, wer leer ausgeht, kann sich auf Wartelisten setzen lassen.
Ein Gesetz im Eilverfahren
Doch Pintérs leidenschaftliche Worte sind an den Ohren der Adressaten vorbeigegangen. Am Mittwoch hat das von Ministerpräsident Viktor Orbáns Partei Fidesz dominierte Parlament im Eilverfahren das Gesetz gebilligt, das der Regierung eine verstärkte Kontrolle des Kuturbetriebs sichert. Während der Abstimmung standen die Oppositionsabgeordneten in ihren Bänken und hielten sich schwarze Theatermasken vors Gesicht. Ob das straflos bleibt, ist fraglich, denn erst am Vortag hatte das Parlament außerdem eine Verschärfung der Strafen für Abgeordnete beschlossen, die Parlamentssitzungen stören oder auch nur mit Transparenten oder Plakaten auf Missstände aufmerksam machen. Ihnen drohen Sperren von bis zu 60 Tagen und Entzug der Diäten von bis zu sechs Monaten bestrafen.
Künftig soll der zuständige Minister die Bestellung von Intendanten der Stadttheater mitbestimmen, die Förderung vom Staat bekommen. Bisher war diese Personalentscheidung allein Sache der Kommunen. Überhaupt soll nach dem neuen Gesetz ein neu zu schaffender Nationaler Kulturrat die "strategische Lenkung der kulturellen Sektoren durch die Regierung" umsetzen. Viele Ungarn erinnert dies an den Geist der Zensur aus der Zeit vor der Wende.
Nach der Gleichschaltung der staatlichen Medien, der Gängelung der privaten Medien durch ökonomische Tricks, nach der Vertreibung des internationalen Teils der liberalen Zentraleuropäischen Universität (CEU) scheint dies nun die umfassendste Attacke der Orbán-Regierung gegen den Kulturbetrieb zu sein. Vielfach gehen Analysten davon aus, dass dies die Rache für die in diesem Herbst verlorenen Kommunalwahlen sei, bei der Fidesz Budapest und zehn weitere Städte an die Opposition verloren hat.
Krönung der Manipulation: Der Fidesz-Fraktionschef Máté Kocsis hatte eine Notwendigkeit der verstärkten Kontrolle über die Theater mit Skandalen um sexuelle Beläsgtigung begründet, die sich an drei ungarischen Schauspielhäusern zugetragen haben - womit er auf Me-Too-Sensibilitäten der Publikums spekulierte. Es gehe nicht an, dass der Staat weiter Theater unterstütze, wenn diese nicht Einsicht in ihre Interna gewähren und "jahrelang schwere Belästigungen von Frauen, Straftaten vertuschen", sagte Kocsis. Indes haben in allen drei Fällen - zwei davon liegen Jahre zurück - die Theater die betreffenden Täter entlassen und damit bewiesen, dass sie durchaus in der Lage sind, mit solchen Vorfällen umzugehen. "Wir halten es für empörend, dass eine transparente, aber die Opfer schonende Kommunikation im Jahr 2019 in Ungarn zur Folge hat, dass ein verantwortungsbewusster, nach den Verfahrensregeln handelnder Leiter auf diese Weise diffamiert wird", teilte das zuletzt betroffene Budapester Katona-József-Theater mit - zur Verteidigung seines Direktors Gábor Máté, gegen den die regierungstreuen Medien eine Kampagne gestartet haben, obwohl dieser den Täter - Regisseur Péter Gothár - vor die Tür gesetzt hatte.