Die Untersagung von Kulturveranstaltungen gehörte zu den ersten Maßnahmen der Regierung. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler über die Lage der Kulturschaffenden.
"Wiener Zeitung": Sämtliche größere Kulturveranstaltungen sind bis vorerst 3. April abgesagt, was sagen Sie Kulturschaffenden, die sich nun hilfesuchend an Sie wenden?
Veronica Kaup-Hasler: Wir befinden uns in einer noch nie dagewesenen Situation, wir haben keine Erfahrungswerte und können noch überhaupt nicht abschätzen, wie lange dieser Zustand andauern wird. Fast stündlich ändert sich die Lage, laufend werden die Maßnahmen angepasst. Wir müssen uns wohl darauf einstellen, dass wir erst am Anfang stehen und die Auswirkungen enorm sein werden. Im Moment kann ich also nur um Geduld bitten. Die Prioritäten liegen ganz klar auf Grundversorgung und medizinischer Betreuung der Bevölkerung.
Wie wird im Rathaus mit der Situation umgegangen? Gibt es eine Task-Force?
Wir haben einen Krisenstab, der praktisch rund um die Uhr im Einsatz ist, auch wir Stadträte halten Krisensitzungen ab und versuchen, wichtige Projekte im Gemeinderat noch auf den Weg zu bringen. Es ist für uns alle eine Extremsituation, aber die Stadt Wien ist infrastrukturell hervorragend aufgestellt und meistert die Situation bravourös. In der Politik ist derzeit Zusammenarbeit und Zusammenhalt gefragt und das passiert auf allen Ebenen.
Gibt es ein Sonderbudget für Kulturschaffende in dieser absoluten Ausnahmesituation?
Wir müssen die Kette der Verantwortlichkeiten im Blick behalten: Da ist zunächst einmal der Bund und die EU gefragt. Es ist Sache des Bundes, ein Maßnahmenpaket für Künstler und Kulturschaffende zu schnüren. Ich hoffe sehr, dass hier existenziell notwendige Maßnahmen überlegt werden. Wir müssen umsichtig die Gesamtsituation berücksichtigen, klug und akkordiert vorgehen, jegliche Panik vermeiden. Aber ich kann versichern, dass ich mich für die Anliegen der Künstlerinnen und Künstler einsetzen werde, so intensiv und effizient, wie ich es bisher getan habe.
Die Künstlersozialversicherung verfügt über ein Notfallbudget für Künstler. Ist es denkbar, diese Mittel zu erhöhen?
Das wäre durchaus eine der Maßnahmen, die der Bund setzen könnte, um Künstlerinnen und Künstlern in Not zu helfen.
Um auch einige kulturpolitische Thema abseits von Corona anzusprechen: Eines Ihrer zentralen Themen war die dringend nötige Indexanpassung der Kulturförderungen. Wie stehen die Chancen der Umsetzung?
Heute kann ich dazu nur so viel sagen: Es müsste sein! Dieser Blick auf Kunst- und Kulturpolitik ist richtig und wichtig. Aber die Parameter haben sich nolens volens verschoben, gut möglich, dass wir dieses Vorhaben vorerst zurückstellen müssen.
Wie verläuft die Zusammenarbeit mit der neuen Kunst- und Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek?
Ich habe sie mehrfach bei Veranstaltungen getroffen und schätze sie außerordentlich, sie hat einen guten Blick auf die Kunst und die Anliegen der Künstlerinnen und Künstler. Leider haben wir es bisher noch nicht geschafft, eine Besprechung abzuhalten, um unsere gemeinsamen Themen anzugehen. Geplant ist ein runder Tisch mit allen Landeskulturräten Anfang der Woche. Aber es stimmt mich positiv, dass Valorisierung und Fair-Pay ein Anliegen der Regierung sind.
Im freien Theater erweist sich das brut als Baustelle: Das Koproduktionshaus kann nach der Renovierung des Künstlerhauses nicht in sein Stammhaus zurückkehren. Ein Neustart im Augarten ist problematisch, wie ist die Lage?
Der Standort im Augarten obliegt der Burghauptmannschaft und somit dem Wirtschaftsministerium. Ich könnte mir ein Kultur-Cluster gut vorstellen, es gibt dort bereits die Sängerknaben, das Muth, den Aktionsradius Augarten und die Sommerveranstaltungen. Bis zum Ausbruch der Corona-Ausnahmesituation haben wir intensiv nach Alternativen gesucht, wir wollen einen Standort, der eine deutliche Verbesserung der freien Szene bringt, hybride Formate und neue Spielweisen ermöglichen soll, das muss nicht unbedingt in der Innenstadt sein.
Die Etablierung dezentraler Kultureinrichtungen gehört ohnehin zu Ihren Kernanliegen. Wie ist hier der aktuelle Stand der Entwicklungen?
Wir haben dezentrale Kultureinrichtungen wie F23, Soho Ottakring, Brunnenpassage und Quartier 19 in der Ankerbrotfabrik finanziell gut ausgestattet, wir haben Voraussetzungen geschaffen, damit dort neue Projekte entstehen können. Auch das kommt der freien Szene zugute.
Wie wird das Angebot angenommen?
Das lässt sich noch nicht sagen, wir stehen ja erst am Anfang. Aber die Stadt wächst in diesen Gegenden enorm, das Kulturangebot muss mit der Stadtentwicklung Schritt halten.
Gehen Ihnen persönlich Theater- und Konzertbesuche ab?
Ich vermisse es enorm. Die Stadt befindet sich in einem sonderbaren Stillstand. Wir alle merken, wie uns das kulturelle Leben abgeht, wie sehr wir die Begegnung in öffentlichen Räumen brauchen, wie uns der Austausch, das Miteinander fehlt. Nachdem wir die Krise überstanden haben, werden wir Kunst- und Kultureinrichtungen noch viel mehr schätzen als zuvor, da bin ich mir ziemlich sicher.
Schlägt jetzt die große Stunde des Buchs?
Auf jeden Fall. Vielleicht werden wir einander sogar wieder vorlesen. Wir brauchen mehr als Netflix und Co! Die ganze Sache wird uns noch ziemlich herausfordern. Wichtig ist gerade jetzt, dass wir aufeinander schauen, einander beistehen und den Humor nicht verlieren.