Gemessen daran, dass Pascal Bruckner zu den bedeutendsten Intellektuellen Frankreichs zählt, hat das Erscheinen der deutschen Fassung seines Buchs "Der eingebildete Rassismus - Islamophobie und Schuld" in den Qualitätsmedien des deutschen Sprachraumes ein eher überschaubares Echo ausgelöst. Das überrascht insofern nicht, als Texte, die sich seriös, aber kritisch mit der "Religion des Friedens" auseinandersetzen, zwischen Hamburg und Wien nicht selten als wenig hilfreich bei der Integration von Neubürgern betrachtet werden und von manchen Gatekeepern der Meinungsindustrien daher gerne dezent übergangen werden.

Neue Philosophen

- © Edition Tiamat
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Das ist im vorliegenden Fall umso bedauerlicher, als Bruckner kein rabiater Rechter ist, der Hass und Zwietracht schürt. Er gehört zu den "Neuen Philosophen", die sich vom Marxismus abwandten und der antitotalitären Aufklärung verschrieben. Er unterstützte den Krieg im Irak, bezeichnete ihn aber später als Irrtum. 2007 sprach er sich für Sarkozy aus, von dem er sich aber "aus Enttäuschung" schnell wieder entfernte. Vor kurzem veröffentlichte er "ein ergreifendes Buch über die faschistische Vergangenheit seines Vaters", charakterisierte ihn jüngst die "FAZ".

Im Mittelpunkt der vorliegenden Essay-Sammlung steht der Begriff Islamophobie, den Bruckner penibel als politischen Kampfbegriff beschreibt mit dem einen Daseinszweck, jede Kritik am Islam zu verunmöglichen. "Im Begriff Islamophobie", schreibt er, "verbinden sich zwei ganz verschiedene Bedeutungen: Die Verfolgung der Gläubigen, die überall ein Vergehen ist, und das Hinterfragen von Glaubensinhalten, das in jedem zivilisierten Land ein Recht ist. Unter dem Vorwand, die Muslime zu verteidigen, geht es also darum, jene Westler zum Schweigen zu bringen, deren Schuld darin besteht, Geschlechtergleichheit und Glaubensfreiheit zu postulieren. Vor allem aber zielt der Vorwurf der ,Islamophobie‘ darauf ab, die arabischen oder muslimischen Intellektuellen mundtot zu machen, die bestrebt sind, ihren Glauben mit der Moderne zu versöhnen und ihn durch das Feinsieb der Vernunft laufen zu lassen. Sie sind die eigentlichen Feinde, die es durch die Beschuldigung zu diskreditieren gilt, mit den ehemaligen Kolonialmächten zu kollaborieren."

Er wolle den "Ausdruck Islamophobie madigmachen, ihn (. . .) delegetimieren, Zweifel und Unbehagen an ihm (. . .) verbreiten, ihn quasi in Anführungszeichen (. . .) setzen und dadurch schwächen", poltert der Autor gleich am Anfang seines Werks folgerichtig. Und das gelingt ihm auf den folgenden 220 Seiten auch mit beeindruckender Wucht. Besonders seit der iranischen Revolution metastasieren, argumentiert er, der gewalttätige Dschihadismus und sein Bruder im Geiste, der islamische Fundamentalismus, unter dem Schutzschuld des Islamophobie-Vorwurfes im Westen: "Während wir es mit den Dschihadisten aufnehmen, machen die Salafisten, die Wahabiten und die Moslembrüder ihre Spielzüge, setzen ihre Weltanschauung und ihre Bekleidungsvorschriften durch, (. . .) zersetzen den Islam der Mitte und halten die moderaten Imame fern. Sie entscheiden die semantische Schlacht und den Krieg um die Köpfe für sich. 37 Jahre nach der iranischen Revolution hisst er überall seine Fahnen, verbreitet seine Sitten und erobert die Herzen einer Mehrheit der Gläubigen."

Mit Recht widmet sich Bruckner auch der mehr als eigentümlichen Sympathie von Teilen der europäischen Linken für den Islam, gar den fundamentalistischen oder politischen Islam. "Was für einem eigenartigen Spektakel wohnen wir bei?", schreibt er. "Man kann beobachten, wie frühere Priesterfresser vor dem Hintern der Islamisten in die Knie gehen." Seine Erklärung: Beide Strömungen eine der Hass auf die evidenten Erfolge von Marktwirtschaft, liberaler westlicher Demokratie und die hedonistische Attitüde des Westens genauso wie das Gefühl, in einer Sackgasse der Ideengeschichte gelandet zu sein; und das verbinde eben.

Erklärende Diagnose

"Für diese desillusionierten Aktivisten wird die Religion des Propheten zur letzten Utopie - Ersatz für Kommunismus und Entkolonisierung. In der Kategorie der guten Subjekte der Geschichte übernimmt der Muslim die Rolle, die einst Proletarier, Guerilleros und Verdammte der Erde spielten. Er verkörpert die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit hienieden und bildet die Speerspitze eines neuen Aufstands. So wird ein Strich gezogen unter Feminismus, Laizismus, erhellende Skepsis und Kritik, kurz: unter alles, was man mit einer progressistischen Einstellung verbindet."

Eine Diagnose, die auch ein wenig erklären mag, warum seine Streitschrift in vielen Medien, natürlich aus Platzmangel, nicht eben prominent erörtert worden ist.