Unter dem Motto "Im Einfachen wohnt das Schöne" entwirft Ernst Kirchsteiger (62) Geschirr, Möbel und Textilien von betörender Schlichtheit, irgendwo zwischen Handwerk und nordischem Minimalismus. In Schweden - wo man "Ernscht" sagt - ist der Innenarchitekt und Designer so ziemlich jedem Haushalt ein Begriff.
Die Berühmtheit verdankt er auch den jährlich wiederkehrenden Sendungen "Sommer mit Ernst" und "Weihnachten mit Ernst" im schwedischen Fernsehen. Mit der "Wiener Zeitung" sprach der Sohn eines Niederösterreichers und einer Polin über seine Herkunft, ein warmes Zuhause, Handwerkstraditionen, Einrichtungstipps und das nordische Licht.

"Wiener Zeitung":Sie sind einer der bekanntesten Innenarchitekten und Designer in Schweden, haben aber österreichische Wurzeln. Erzählen Sie uns doch etwas über Ihren familiären Hintergrund.
Ernst Kirchsteiger: Meine Eltern wanderten 1955 mit meinen drei Geschwistern aus, weil es nach dem Krieg wenig Arbeit gab. Mein Vater, der aus Neunkirchen in Niederösterreich stammte und auch Ernst hieß, bekam ein Angebot von einem Eisenbergwerk in Värmland, im Westen von Schweden. Und so packten sie ihre Koffer. Sie wussten erst nichts über Schweden, aber bald liebten sie ihre neue Heimat. Ich wurde 1957 dort geboren, als Einziger in der Familie.
Woran erinnern Sie sich aus Ihrer Kindheit als Neuling in der skandinavischen Provinz?
Ein guter Tipp, wenn man in einem neuen Land Freunde finden will: zum Essen einladen und Gerichte aus der Heimat auftischen. Meine Mutter kochte für die Nachbarn Sauerbraten, Knödel und all die Klassiker und machte sich beliebt. Und zu besonderen Anlässen zog sie mir Lederhosen an, denn das war für sie das Allerfeinste. Darin muss ich wie ein komischer Vogel ausgesehen haben. Aber ich bin dankbar für meinen Ursprung. Durch den Umzug erlebten meine Eltern einen Neustart, gleichzeitig schweißte es uns als Familie zusammen. Bei uns gab es viele Umarmungen, Küsse und lautstarke, Fellini-artige Mahlzeiten. Bei meinen schwedischen Freunden war es beim Essen so still, dass man das Besteck klirren hörte.
Wie sind Sie als Sohn eines Bergmanns zum Design gekommen?
Indem ich gerade nicht im Eisenwerk arbeiten wollte, auch wenn das in unserem Ort alle machten. Ich wollte kreativ sein und mit Menschen zu tun haben. Ich sorgte für psychisch Kranke, kochte in der Gaststätte Grythyttans Gästgivargård und begann nach vielen Jahren bei IKEA, um das Konzept der Restaurants in den Möbelhäusern zu überarbeiten. Aber die Kollegen erkannten, dass ich mindestens genauso an Design interessiert war, und bald richtete ich Räume ein und gestaltete den IKEA-Katalog.
Mittlerweile sieht man Sie im schwedischen Fernsehen und kann Ernst-Vasen kaufen.
Vor 20 Jahren klingelte eines Tages das Telefon: Ob ich Lust hätte, fürs Fernsehen ein altes Bauernhaus zu renovieren? Dieses eine Projekt veränderte alles. Ich zeigte den Zuschauern, wie man ein altes Möbelstück aufmotzt oder einen Kronleuchter selber baut. Von da war es nur ein kleiner Schritt zu einer eigenen Kollektion. Ich hatte vorher auch eine Designausbildung absolviert.
Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Mein Slogan ist "Im Einfachen wohnt das Schöne". Ich verfolge einen schlichten, menschlichen Stil, der immer mehr in Richtung eines handwerklichen Ausdrucks geht. Zum Beispiel ist die Keramik etwas gröber, eher wie auf dem europäischen Kontinent. Außerdem mag ich Dinge, die man auf verschiedene Weise benutzen kann, etwa eine Schale, in die man Äpfel, aber auch Blumen legen oder in der man einen Salat machen kann. Denn nicht derjenige gewinnt, der die meisten Sachen hat, sondern der mit den richtigen, praktischen Sachen.
Haben Sie ein paar Einrichtungstipps für ein schönes Zuhause?
Ich vergleiche die Gestaltung eines Raumes gern mit einem Orchester. Wenn da nur Solisten spielen - große Möbel und auffällige Accessoires -, kommt keine gute Musik zustande. Es braucht auch mittlere Töne, zum Beispiel dezente Textilien wie ungefärbtes Leinen. Und ich mag reine Naturmaterialien wie kleine Zweige; das sind die ganz leisen Stimmchen. Es geht darum, wie alles im Raum zusammen "klingt". Aber Stil in allen Ehren - mein Leitwort stammt von einer Mutter aus einem SOS Kinderdorf in Afrika: "Ein Zuhause ist dort, wo man geliebt wird." Will man ein schönes Zuhause schaffen, muss es dort auch schöne Gedanken geben.
Welche Unterschiede sehen Sie zwischen dem Einrichtungsstil in Schweden und anderen Ländern?
Bei meinen frühen Besuchen in Österreich habe ich den Eindruck gewonnen, dass man nach der Hochzeit alle Möbel anschaffte und damit den Rest des Lebens ausgestattet war. Aus der Perspektive der Umwelt und der Nachhaltigkeit ist das ein guter Gedanke, aber es kann auch ein Gefängnis werden, wenn da immer derselbe große Schrank mit einem Hirschrelief steht. In Schweden und Skandinavien sind die Möbel viel magerer und scheinen "auf Zehenspitzen" zu stehen, als ob sie auf dem Sprung wären. Sie lassen sich leichter verrücken.
In Nordeuropa ist es im Winter lange dunkel. Wie schlägt sich das in der Innenarchitektur nieder?
Schwedisches Design ist gut im Umgang mit Licht. Wir hatten ein Sommerhaus in Italien, und dort misst man Leuchten keine große Bedeutung zu. Da hängt eine grelle Lampe an der Decke und das wars. In Schweden setzen wir verschiedene Lichtpunkte. Ich erinnere mich an amerikanische Kunden aus meiner IKEA-Zeit, die "the nordic light" wollten. Was sie meinten, war Tageslicht, das von der Seite kommt und tief in den Raum vordringt, weil im Norden die Sonne oft nicht so hochsteigt. In Mittel- und Südeuropa hat man dicke Vorhänge, im sich vor der Sonne zu schützen, aber viele Schweden haben nur dünne oder gar keine Gardinen und nutzen jede Stunde Tageslicht. Schauen Sie sich nur die Bilder vom Maler Carl Larsson an: Da kommt natürliches Licht von der Seite und bildet interessante Effekte.
Sie haben ein Buch geschrieben: "Ehrliche Materialien" ("Ärliga Material"). Welche Werkstoffe liegen Ihnen besonders am Herzen?
Mit "ehrlichen Materialien" meine ich grundsätzlich Materialien, die nach dem aussehen, was sie sind. Also eben keine Fliesen in Marmoroptik oder Kunststoff mit Holzmaserung. Meine fünf Lieblingsmaterialien sind alle mit der schwedischen Handwerksgeschichte verbunden: Mit Eisen bin ich aufgewachsen, Holz ist allgegenwärtig, Glas bläst man in Småland, zudem Stein und Wolle. Ich interessiere mich für Geschichte und habe mich intensiv mit Schwedens Traditionen und der Bauernkunst beschäftigt. Als Gestalter läuft man Gefahr, sich in Produkten, Namen und Marken zu verlieren. Man sollte erst mal lernen, wie man einen Teppich webt und eine Holzschale schnitzt, bevor man etwas entwirft.
Während Österreicher zu IKEA pilgern, richten Sie als Halbösterreicher schwedische Heime ein. Finden Sie das kurios?
Absolut. Für viele bin ich der Inbegriff des schwedischen Sommers und der schwedischen Weihnacht. Und das nach nur einer Generation im Land. Es klingt verrückt, aber ich glaube, Menschen von außerhalb tragen dazu bei, das typisch Schwedische zu stärken. Mein Werdegang beruht auf mitteleuropäischer Kinderstube und Studien der schwedischen Tradition als Außenstehender.
Kommen Sie manchmal noch nach Österreich?
Hin und wieder. An Wien faszinieren mich der Jugendstil und die Wiener Werkstätte. Zuletzt war ich in Salzburg und habe ein zum Sterben gutes Schnitzel gegessen. Ich bin stolz auf meine österreichischen Wurzeln und dass ich die Sprache noch verstehe. Aber wenn ich spreche, klinge ich wohl seltsam. Ich rede ja so, wie ich es als Kind gelernt habe. Wenn es heißt: "Ernst, sag das noch mal!", dann weiß ich, dass mir etwas Lustiges herausgerutscht ist.