Kunst wirkt. Definitiv. Sei es, dass sie emotional auf den Menschen einwirkt, oder auch die Physis positiv beeinflusst. Ja, sie soll sogar die Lebenserwartung steigern können. Es spielt dabei keine Rolle, ob man sich aktiv an der Ausübung beteiligt, oder scheinbar passiv genießt, vielleicht ein Konzert, einen Tanzabend. Eventuell sogar kostenlos, denn der behandelnde Arzt hat es verordnet: Kunst auf Rezept, sozusagen. Anderenorts bereits eine durchaus übliche und anerkannte Behandlungsmethode, hierzulande schlichtweg unvorstellbar.

Dabei blickt die Verbindung von Kunst und Medizin auf eine lange Tradition zurück, denn die gemeinsamen Wurzeln von Religion, Medizin und Kunst lassen sich schon im Schamanismus finden. Ganz zu schweigen vom antiken Trauerspiel und seiner Katharsis, die die Seele von Leidenschaften läutern soll. Oder die in den 50er Jahren beginnenden Experimente in Gugging, in deren Verlauf mithilfe von bildender Kunst und Literatur eine geschlossene Anstalt zu einem offenen Haus wurde.

Positiver WHO-Bericht

Also: Weshalb gibt es in Österreich keine Möglichkeit, Kunst verordnet zu bekommen, wenn selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2019 in ihrem Bericht "What is the evidence on the role of the arts in improving health and well-being?" ("Was ist der Beweis für die Rolle der Künste bei der Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden?") anhand von 3.700 erschienenen Studien zu dem Ergebnis kommt, dass kreative Beschäftigungen wie etwa Tanzen und Singen sich positiv auf die körperliche und geistige Gesundheit auswirken - und zwar über das gesamte Leben hinweg? "Es gibt kein Bewusstsein dafür, dass Kunst in der Prävention und im Management von Krankheiten helfen kann. Deshalb fehlt es an Unterstützung, organisatorischer und finanzieller Art. Jeder Künstler, der diese Arbeit anbietet, kämpft für sich selbst", erklärt Edith Wolf Perez im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Sie hat gemeinsam mit Katy Geertsen (sie absolvierte das "Mark Morris Dance Group - Dance for PD® Teacher"-Training) und Chris Wang, der gerade seinen Master in Dance Science macht, kürzlich den Verein Arts for Health Austria (AfHA) gegründet.

Keine Kunsttherapie

Es ist nicht die erste Initiative dieser Art, bestätigt die AfHA-Gründerin, doch "jeder erfindet das Rad neu". Es gäbe immer wieder ein Aufblitzen von Alleinkämpfern, aber es werde nichts in diese Richtung passieren, wenn man für das Ganze nicht eine Struktur, eine solide Basis schaffen würde. "Wir möchten dieses Bewusstsein anschubsen, durchsetzen, wir wollen auch netzwerken und zwischen Wissenschaft, Gesundheitssektor und Kunst vermitteln, vielleicht auch in weiterer Folge zu einer Agentur ausbauen, in der Künstler Arbeit finden können."

Wesentlich ist die Trennung von Kunst und Therapie: Hier geht es nicht um Kunsttherapie im üblichen Sinn, sondern um künstlerische Interventionen in einem Gesundheitssetting für die Verbesserung des sozialen, des gesundheitlichen und des persönlichen Wohlbefindens. "Es ist keine Therapie, kann aber therapeutische Effekte mit sich bringen. Es sind Künstler, die die Aktivitäten leiten, sei es passiv oder aktiv. Die Teilnehmer werden nicht als Patienten gesehen, sondern als Tänzer oder generell als Künstler. Das ist ein großer Unterschied in der Praxis." Diese künstlerischen Interventionen setzen nicht an der Krankheit an, sondern richten sich nach dem, was der Teilnehmer kann: "Sehr effektiv wirkt Tanzen bei neurologischen Krankheiten wie Parkinson - dazu gibt es international eine riesige Bewegung". Auch würde sich ein Kurs positiv auf die Betreuungspersonen auswirken. Denn sie begegnen dann ihren Patienten nicht als Kranken, sondern auf Augenhöhe. Am besten sei überhaupt, wenn die Betreuungspersonen selbst mitmachen, schöpft Wolf Perez aus ihren Erfahrungen. Therapeuten hingegen, setzen sich mit der Krankheit auseinander, sie versuchen an den Defiziten zu arbeiten. Freilich steht die Sicherheit des Teilnehmers im Vordergrund: Vor allem in psychiatrischen Einrichtungen oder bei Demenzkranken ist es von Vorteil, wenn zusätzlich Therapeuten und Künstler anwesend sind.

Edith Wolf Perez, die Gründerin von Arts for Health Austria, macht sich zur Aufgabe, dass künstlerische Interventionen - nach englischem Vorbild - von den Sozialversicherungen anerkannt werden. - © w-point
Edith Wolf Perez, die Gründerin von Arts for Health Austria, macht sich zur Aufgabe, dass künstlerische Interventionen - nach englischem Vorbild - von den Sozialversicherungen anerkannt werden. - © w-point

Wolf Perez, ausgebildet am renommierten Laban Centre in London und selbst viele Jahre als Tanzpädagogin in englischen Krankenhäusern, Tagesstätten und geriatrischen Einrichtungen tätig, orientiert sich bei der Arbeit für Arts for Health Austria an dem englischen Vorbild: Universal Personalised Care, heißt es und bedeutet, dass "jeder Mensch sozusagen gescreent wird und seine Bedürfnisse festgestellt werden", so Wolf Perez. Innerhalb dieses Systems gibt es auch Verschreibungen für künstlerische Aktivitäten oder auch Kunstgenuss - wie etwa regelmäßige Konzertbesuche. "Dazu gibt es Linkworker, also Brückenbauer, die gemeinsam mit den Ärzten und dem Gesundheitspersonal diese Verschreibungen vorschlagen. Da sind wir noch sehr weit weg", meint Wolf Perez. Das Royal Ballet oder auch das English National Ballet engagieren sich ebenfalls im Gesundheitssystem: Das Royal Ballett etwa arbeitet mit blinden Kindern, English National mit Parkinson- und Demenzkranken. "In diesen Kompagnien gibt es eigene Abteilung, in der sich die Tänzer dieser Arbeit widmen. Das sind tolle Initiativen, die nachhaltig strukturiert sind", weiß Wolf Perez.

Würde Kosten sparen

Auch in den nordischen Ländern gibt es ähnliche Ansätze. In Finnland etwa hat man es geschafft, diesbezüglich ministerienübergreifend zu agieren. Denn dort sei man sich bewusst geworden, so Wolf Perez, dass Kunst die Menschen länger mental sowie physisch fit halten würde, womit sie auch dem Arbeitsmarkt länger erhalten bleiben. Damit erspart sich das Gesundheitssystem letzten Endes Kosten. "Um Kunst auf Rezept durchzusetzen, braucht man einen komplett anderen Zugang zum Gesundheitswesen. Diesen Diskus gibt es natürlich auch hierzulande aufgrund der demografischen Entwicklung", erklärt Wolf Perez. Das österreichische System sei für Reformen sehr träge und das Budget innerhalb der Sozialversicherungen für diesbezügliche Projekte sei verschwindend klein im Vergleich zu den bereits genannten Ländern. "Es stehen nur ein paar Tausend Euro zur Verfügung. Um hier etwas zu verändern, braucht man einen sehr langen Atem."