Es ist und bleibt ein Gwirks, wienerisch gesprochen, mit den Straßennamen. Darf Hans Pfitzner eine Straße haben? Und Herbert von Karajan einen Platz? Und wieso wird Karl Lueger demontiert, nicht aber Julius Tandler?
Straßennamen und Straßenumbenennungen - wie mans macht, macht mans falsch, kommt immer nur darauf an, wo man politisch steht. Zumindest scheint es so.
Die Stadt Linz wird 2023 die Pfitznerstraße, benannt nach dem deutschen Komponisten Hans Pfitzner, eliminieren. Dem Musikwissenschafter und "Presse"-Musikkritiker Wilhelm Sinkovicz ist der Vorgang einen klugen Podcast wert, über den noch zu reden sein wird.
Straßen- und Platzbenennungen nach Personen beginnen in Wien im 19. Jahrhundert. 1862 wurde Kaiserin Elisabeth zu ihrem 25. Geburtstag mit einem Straßennamen beschenkt, 1870 bekam Erzherzogin Maria Theresia eine Straße und 1888 ihren Platz. Die Längenfeldgasse in Meidling wurde nach Josepha Haas von Längenfeld-Pfalz benannt, die ihr Vermögen für Kindergärten stiftete, und die Namenspatronin der Fillgradergasse in Mariahilf war Marie Anna Fillgrader, die eine Armenstiftung ins Leben rief.
In der Ringstraßen-Ära mit ihren neu entstehenden Straßen und Gassen bestand Namensbedarf, und so kamen immer mehr Personen zu Ehren.
Zuvor waren die Straßennamen ganz pragmatisch für Geländegegebenheiten, Zielorte und Besonderheiten vergeben worden. Man hatte eine Brünner Straße, eine Dresdner und eine Linzer Straße, ein Salzgries (der Strand, an dem die Salzschiffe anlegten), man benannte nach Märkten wie Bauernmarkt oder Hoher Markt, nach Handwerkszünften wie Wipplinger Straße (die Straße der Kürschner), Seilerstätte oder Naglergasse.
Ehrende Benennungen
Benennungen nach Personen sind Ehrungen. Die Straße oder der Platz wird zum Denkmal. Damit lassen sich auch politische Inhalte transportieren. So sollen in den neu entstehenden Vierteln Wiens durch entsprechende Straßennamen Frauen sichtbarer werden.
Was aber, wenn sich der Geehrte später als der Ehrung unwürdig erweist?
In Wien sorgt Karl Lueger für Aufregung. Sein Abschnitt der Ringstraße wurde ihm aberkannt und in Universitätsring umbenannt. Nun geht es um das Denkmal und den Platz.
Ein schwieriger Fall: Lueger ist der Vater des modernen Wien. Er war ein begnadeter Kommunalpolitiker, der sich um soziale Einrichtungen ebenso kümmerte wie um eine leistbare Infrastruktur, die er mit sicherem Gespür kommunalisiert und dem rücksichtslosen Kapitalismus entzogen hat.

Derselbe Lueger war allerdings ein rabiater Antisemit. Das war kein "Salonantisemitismus", wie ihm viele seiner Zeitgenossen verwerflicherweise anhingen. Bei Lueger ging das tiefer. So extrem war das bei ihm, dass ihm Kaiser Franz Joseph mehrfach die Ernennung zum Wiener Bürgermeister verweigerte. Erst nachdem Papst Leo XIII. dem Kaiser ins Gewissen geredet hatte, unterzeichnete Franz Joseph das Ernennungsdekret. Es war Luegers fünfter Anlauf.
Das führt geradewegs zu Sinkovicz Podcast. Die dort implizit gestellte Frage lautet: Kann man jemanden für eine Leistung ehren, obwohl seine Haltung verachtenswert war?
Große Werke - mieser Charakter
Der Fall Pfitzner ist ein gutes Beispiel: Pfitzner ist der Komponist der herausragenden Oper "Palestrina", einiger bemerkenswerter Orchesterwerke und der Kantate "Von deutscher Seele" nach Gedichten Joseph von Eichendorffs. Der seinerzeit hochbedeutende, von Gustav Mahler geschätzte Komponist legte sich eine Pose als letzter Großmeister der deutschen Musik zurecht und geriet damit fast zwangsläufig in das trübe Fahrwasser des Nationalsozialismus. Als Widerspruchsgeist, der er war, begann er nach 1945, als seine gleichermaßen kompromittierten Kollegen längst angefangen hatten, ihre NS-Karrieren zu Mitläufertum oder gar Widerstandssympathien umzulügen, vom "Weltjudentum" und dem Guten am Nationalsozialismus zu bramarbasieren.
Doch nicht allein das: 1938 hatte Pfitzner für den "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland agitiert und damit für die Auslöschung Österreichs geworben.
Soll also in einer österreichischen Hauptstadt eine Straße nach einer Person benannt sein, die für die Auslöschung dieser Nation geworben hat? Doch da sind eben auch seine musikalischen Meisterwerke, durch die, gäbe es nicht die charakterlichen Untiefen, eher die Straße mit der Benennung als Pfitzner mit der Straße geehrt würde.
Benennungen, noch mehr aber Umbenennungen von Straßen und Plätzen sind immer Zeichensetzungen. So spiegelt sich "Österreich ist frei" in der Umbenennung des Stalinplatzes der Besatzungszeit in den Schwarzenbergplatz des freien Wien.
Kann man es dulden, wenn Straßen und Plätze auch nach zwar verdienten Personen benannt sind, deren Hemd aber nicht blütenweiß ist?
Um in Wien zu bleiben: Man stößt sich an Lueger, nicht aber am Arzt Julius Tandler, der sich mit Mütter-, Ehe- und Trinkerberatungsstellen große Verdienste um die Fürsorge in Wien erworben, aber als glühender Befürworter der Euthanasie 1924 im Aufsatz "Ehe und Bevölkerungspolitik" geschrieben hat: "Gewiß, es sind ethische, es sind humanitäre oder fälschlich humanitäre Gründe, welche dagegen [die Euthanasie, Anm.] sprechen, aber schließlich und endlich wird auch die Idee, daß man lebensunwertes Leben opfern müsse, um lebenswertes zu erhalten, immer mehr und mehr ins Volksbewußtsein dringen."
Namenspatrone unter der Lupe
Unter der Leitung des Historikers Oliver Rathkolb hat ein Team bestehend aus Birgit Nemec, Peter Autengruber und Florian Wenninger die Namenspatrone der Wiener Straßen unter die Lupe genommen und einen kritischen Bericht vorgelegt, in dem sich manch einer als dubios herausstellt. Mehr noch: Manche Umbenennung lässt den Kopf schütteln. So hat auch Wien in Rodaun eine Pfitznergasse, das aber erst seit 1957. Ihr vorheriger Namenspatron war Franz Schubert.
Dass aber ein NS-Befürworter von einem NS-Verfolgten einen Park übernimmt, ist eine besondere Merkwürdigkeit. Der Ernst-Krenek-Park wurde 1999 nach dem österreichischen Komponisten benannt, der mit seiner Oper "Jonny spielt auf" die Nationalsozialisten zur Weißglut trieb. Der schwarze Protagonist der Oper zierte das Plakat der Schandausstellung "Entartete Musik". Als Krenek in die USA emigrierte, hatte er sich schon zum gleichermaßen verpönten Zwölftöner gewandelt. 2001 wurde der ihm gewidmete Park in Franz-Schmidt-Park umbenannt nach dem Komponisten, den nur sein Tod davon abhielt, die NS-Kantate "Deutsche Auferstehung" mit Sätzen wie "Die unerlösten Deutschen im Auslande", "Das Dritte Reich" und "Großdeutschland" zu vollenden. Aber da sind Meisterwerke wie die zweite und vierte Sinfonie und das Oratorium "Das Buch mit sieben Siegeln".
Ehrungen also auch, wenn Menschen sich so fehlbar verhalten haben, wie es in der Natur des Menschen liegt? Schließlich gibt es sogar einen Richard-Wagner-Platz in Wien, der bis 1894 ein Goetheplatz sein durfte.
Jedenfalls wären eine Radlergasse oder ein Architektenplatz unverfänglicher als Benennungen nach Westentaschendiktatoren wie Ludwig von Welden oder nach dem Ex-SS-Untersturmführer und späteren Wiener ÖVP-Gemeinderat Wilhelm Neusser.
Vielleicht sollte man zur alten Methode der Straßennamen zurückkehren. Freilich wäre auch das eine diskutable Zeichensetzung. Und wie mans macht, macht mans falsch.
Es ist und bleibt, wienerisch gesprochen, ein Gwirks.