Eine junge Frau sitzt schüchtern lächelnd auf dem Sofa - ein gut gelaunter Fernsehmoderator fragt sie, wie es denn so war, damals, in Auschwitz. Sie kommt nicht viel zu Wort, wird ständig unterbrochen. Kurz darauf trifft sie vor laufender Kamera auf einen der amerikanischen Soldaten, der sie aus dem Vernichtungslager befreit haben soll. Sie fallen sich in die Arme, zum Entzücken des Publikums: ein amerikanisches Happy End. Ein berührender Moment, der aber gleichermaßen inszeniert wirkt.

Auch so kann ein Zeitzeugenbericht aussehen. Das amerikanische Unterhaltungsfernsehen der 50er-Jahre ist nur einer der vielen Kontexte, in denen Überlebende des Holocaust von den Gräueltaten berichteten, die ihnen angetan wurden. Zeitzeugenberichte gibt es in vielen Formen - Video-Interviews, Audio-Aufnahmen, schriftliche Dokumente. Was sie außerdem voneinander unterscheidet, sind die Umstände ihrer Entstehung. Genau hier setzt die Sonderausstellung "Ende der Zeitzeugenschaft?" an, die bis 3. September im Haus der Geschichte Österreich (HDGÖ) zu sehen ist.

"Gemachte" Interviews

Sie widmet sich nicht nur der Bedeutung der Zeitzeugenberichte für unsere Gesellschaft und Erinnerungskultur, sondern wirft einen Blick hinter die Kulissen und fragt nach deren Entstehungsprozessen: Wer war beteiligt an den Aufzeichnungen und wo fanden diese statt? Welche Initiativen steckten dahinter? Für welche Medien wurden sie produziert? Interviews sind "gemacht". Die Ausstellung hinterfragt genau das, wie auch andere historische Quellen hinterfragt werden müssen. Sie beleuchtet nicht das "wer", sondern das "wie" der Zeitzeugenberichte. Außerdem wird die Frage gestellt: Was passiert, wenn es bald keine lebenden Überlebenden mehr gibt? In wenigen Jahren wird es keine Möglichkeit mehr geben, persönlich mit Zeitzeugen des Holocaust in Kontakt zu kommen und sich von ihnen erzählen zu lassen. Die Ausstellung "Ende der Zeitzeugenschaft?" stellt diesem baldigen Ende einer Ära ein Fragezeichen hintan.

Laut HDGÖ-Direktorin Monika Sommer, Kuratorin Anika Reichwald und Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, müssen weiterhin umfassende Sammlungen zusammengetragen werden, um jüngeren und zukünftigen Generationen diese so unerlässlichen Erzählungen zu vermitteln. Einiges an solchem Material zeigt die Ausstellung, doch sie zeigt es anders. Es erwarten einen Ausschnitte von Video-Interviews, in denen Überlebende herzhaft lachen, Pausen machen oder Pannen und Versprecher passieren. Man sieht den Kontext, das Making-Of der Aufzeichnungen, nimmt die Zwischentöne wahr. Neben den Erzählenden sieht man auch die Interviewer und lernt, dass nicht nur die Zeitzeugen selbst, sondern sämtliche Mitanwesende an der Zeitzeugenschaft beteiligt sind.

Deutungshoheit

Besucher sehen außerdem Filmausschnitte, in denen Schicksale von Überlebenden nacherzählt werden. Wie jenes von Danny in Moshe Zimermans Dokumentarfilm "Pizza in Auschwitz", der Jahrzehnte nach seiner Befreiung seine Familie nach Auschwitz bringt, um dort in "seiner" ehemaligen Baracke zu übernachten.

Reichwald war es außerdem ein Anliegen, Besuchern Einblick in die Archivarbeit zu gewähren. Denn, wer Zeitzeugenberichte dokumentiert und verarbeitet, hat im Endeffekt die Deutungshoheit.

Einst hat Hitler von diesem historischen Ort die Massen bewegt. Nun befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft eine Sonderausstellung über den verantwortungsvollen Umgang mit Zeitzeugenschaft in unserer Gesellschaft. Bei der Ausstattung setzte man bewusst auf das Material Glas und die Farbe Grün: Transparenz und Hoffnung.

Unter diesen optimistischen Vorzeichen steht auch eine weitere aktuelle Initiative des Haus der Geschichte: die Web-Ausstellung "Das Lichtermeer 1993. Ein prägendes Zeichen der Zivilgesellschaft". Zum 30. Mal jährt sich die bislang größte Kundgebung der Zweiten Republik gegen Rassismus und Ausgrenzung.

Das Haus der Geschichte sammelt hierfür Fotos, Videos oder Gegenstände, die an dieses wichtige Ereignis zivilgesellschaftlichen Zusammenhalts erinnern. Diese können unter www.hdgoe.at/lichtermeer hochgeladen werden.